Maison Aglaia
diversen Hilfeleistungen mittlerweile mehr nass als trocken waren. Unter Einfluss dieser Stärkung seines Publikums bekam Xaver im Laufe der Nacht immer bessere Ratschläge. Armgard Müller empfahl ihm "Leg dich auf den Rücken, Xaver. So schwimmt man länger und vor allem ermüdungsfrei." Und zu uns gewandt erläuterte sie: "So hat schon mal einer Zeitung lesend den ganzen Ärmelkanal durchschwommen!"
Da Xaver jedoch nicht lesen konnte, schien er sich auch nicht für das Rückenschwimmen erwärmen zu können. Der Meisel Sepp hielt den Strick fest und befahl: "Ruhig atmen, Xaverl, des spart Energie. Ganz ruhig, und eins, und zwei, genau… ein, aus, ein, aus ..."
Norbert Müller kam plötzlich mit einer Handvoll Steine an. Auf den Unheil verkündenden Blick seiner Frau und unser ratloses Staunen hin, erläuterte er seinen Plan zur Rettung des Esels: "Wir werfen einfach Steine in das Schwimmbecken, solange bis Xaver Grund unter den Hufen hat ... denn ... denn lange wird er wohl nicht mehr durchhalten können."
Beatrice erblasste und Armgard Müller, die das sah, fauchte ihren Mann an: "Schaff sofort die Steine weg! Immer deine Steine ... dass Du dich nicht schämst ..."
"Aber ich wollte doch nur ..." stammelte Norbert Müller kleinlaut und verschwand dann wieder mit seinen Steinen.
Beatrice hatte schließlich die rettende Idee. In einer Scheune am Ende des Gartens lag noch eine Menge Bauholz vom Umbau unseres Anwesens. Wir schleppten einige Bretter herbei und legten sie schräg ins Becken, so dass für Xaver eine breite Rampe zum Rettenden Ufer entstand. Es war dann noch eine Menge Gezerre und Geschrei notwendig, bis Xaver sich auf wackeligen Beinen die Rampe hinaufbewegte und schließlich zitternd am rettenden Ufer stand.
Nachdem wir ihn trocken gerieben hatten entließen wir Xaver erst einmal in den Garten, wo er sich nach wenigen Schritten ins Gras legte und schlief. Er hatte sich seine Ruhe verdient.
Seine Rettungsmannschaft trottete in der einsetzenden Morgendämmerung mit verdreckten Kleidern und einigen blauen Flecken ins Haus. Bevor sich alle noch einmal zu Bett begaben, entschuldigte sich der Meisel Sepp bei allen für die nächtliche Ruhestörung, aber die Müllers, mittlerweile durch mehrere Grogs milde gestimmt, erklärten das ganze zu einem außergewöhnlichen Urlaubsauftakt. Wobei sich Armgard Müller natürlich nicht verkneifen konnte, zu bemerken, dass unsere Werbung für einen kulturell abwechslungsreichen Urlaub nicht übertrieben sei...
Beatrice versicherte ihm kopfschüttelnd, dass sie nach einem derartige Auftakt ihrer Laufbahn als Hotelbesitzer künftig nicht mehr erschüttern könne. Den selig schnarchenden Dieter hatte sie dabei allerdings nicht einkalkuliert, und überhaupt sollte sich sehr bald herausstellen, dass auch andere Gäste ernsthaft daran arbeiteten uns in Atem zu halten.
Am Tag nach Xavers nächtlicher Taufe vermehrte sich unsere Gästeschar um drei weitere Personen. Mittags holte ich eine rüstige Siebzigerin namens Dr. Gertrud Fern vom Bahnhof ab. Frau Dr. Fern war Philologin uns Kunstfreundin, und entsprach damit genau jener Sorte von Gast, für die wir Maison Aglaia bestimmt hatten. Leute also, die nicht nur am Strand braten wollten oder mal schnell drei Sehenswürdigkeiten abhaken wollten, sondern die sich wirklich für die großen und kleinen Glanzpunkte dieses Landstrichs interessierten.
Am Nachmittag trafen Sibylle und Ulrich Leißensee in einem weißen Porsche ein. Sie war eine fröhliche Blondine um die vierzig, er ein Fernsehregisseur, der auf die Sechzig ging. Obwohl neben dem Meisel Sepp der Älteste im Haus entpuppte er sich als vitaler Mann, der mit scharfer Beobachtungsgabe die Stärken und Schwächen seiner Mitmenschen registrierte und gelegentlich in ironischen Bemerkungen karikierte.
Die Neuankömmlinge, besonders Dr. Fern, wunderten sich etwas über unser aller übernächtigtes Aussehen, wurden aber von Armgard Müller unter viel Gekicher umgehend über den Sachverhalt aufgeklärt.
Frau Dr. fern schüttelte verständnislos den Kopf und ging Dieter fortan aus dem Weg, während die Leißensees dem im Garten grasenden Xaver einen Besuch abstatteten.
Der Esel hatte sein feuchtes Abenteuer übrigens gut überstanden, hielt sich jedoch von dem Schwimmbecken auffällig fern. Dafür hatte er an Dieter bereits Rache genommen, indem er in dessen geliebte Baskenmütze ein Loch geknabbert hatte. Dieter nahm es mit Humor, schnitt noch ein weiteres Loch
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