Make it count - Gefühlsbeben (German Edition)
wurde. Dort, wo Simon und ich immer von den großen Träumen gesprochen haben. Aber keines dieser Worte kommt über meine Lippen. Sie verenden irgendwo in meinem Hals, wo sie sich festhaken, als würde die Erinnerung an diese Tage verschwinden, wenn ich sie jemandem erzähle.
„Mach’s gut.”
Damit steige ich aus und mir schlägt die heiße Sommerluft entgegen. Hier ist es noch schwüler als in Boston und die leichte Brise vom Meer erreicht mich kaum.
„Man sieht sich, Lynn Chase.”
Jareds Abschied klingt wie eine Mischung aus Versprechen und Drohung. Ich schlage schnell die Autotür zu, damit er losfahren und somit Abstand zwischen uns bringen kann. Und Abstand zwischen meine Gedanken und Gefühle, die sich endlich beruhigen sollen. Erst als die Rücklichter seines Ford Mustangs um die nächste Straßenecke gebogen sind, überfällt es mich dann endgültig: Oceanside. Mit all den Erinnerungen.
Neue Fensterläden. Schick sehen sie aus. Knallrot, das passt. Ein Lächeln breitet sich über mein Gesicht aus. Ich spüre, wie meine Anspannung wächst und ich dennoch das Gefühl von Zuhause empfinde. In Boston bin ich nur Gast, ein Flüchtling, der dort einen Platz gefunden hat, um für eine kleine Weile bleiben zu dürfen. Nur für das College. Dann geht es weiter. Egal wohin, nur nicht zurück nach Oceanside.
Meine Eltern haben immer versucht, den Schein der perfekten Familie mit weißem Gartenzaun und gepflegtem Vorgarten zu wahren. Wenn mein Dad morgens das Anwesen verließ, stand meine Mutter an der Tür und hat ihn zum Abschied geküsst. Alle Nachbarn sollten es sehen, wie glücklich die Ehe der beiden war. Gut, ich war nicht unbedingt die Tochter, die meine Mutter sich gewünscht hat. Ich trug selten rosa Kleider, nur selten habe ich meine Haare durch niedliche Flechtfrisuren aufgehübscht. Ich habe mir die Jeans aufgerissen, als ich auf Bäume geklettert bin, und mir die Knie aufgeschürft, als ich mit Jungs Fahrradrennen veranstaltet habe. Was hinter dem weißen Gartenzaun passiert ist, war nicht perfekt. Es war lieblos, reserviert und kühl. Meine Eltern hatten sich nicht viel zu sagen, und das Wunschkind war weder perfekt, noch hat es geholfen, die Beziehung zu krönen.
Jetzt stehe ich in einem Vorgarten, der nicht mehr besonders gepflegt ist, der weiße Gartenzaun fehlt und nur die roten Fensterläden wirken einladend. Mein Herz schlägt so aufgeregt, als wäre es ein junger Hund, der sich freut, dass sein Herrchen wieder nach Hause kommt. Hier bin ich Zuhause. Hier fühle ich mich wohl. Der Name „Hooks” steht auf dem Briefkasten, der schon etwas länger nicht mehr geleert worden ist. Simons Haus.
„Ist jemand zu Hause?”
Der Wagen steht in der Auffahrt und die Haustür ist wie immer nicht abgeschlossen. Trotzdem oder deswegen klopfe ich an.
„Dave? Bist du da?”
Im Hause ist es unwesentlich kühler als draußen. Das war schon immer so. Typisch Oceanside: Es wird im Sommer viel zu warm und man kann nichts gegen die Hitze in den Häusern tun. Im Flur hängen zahlreiche Fotos an der Wand, die ich zu ignorieren versuche. Wenn ich sie mir zu genau ansehe, dann wird jeder Schritt zu einem Kampf. Einem Kampf gegen die Zeit, die sich viel zu schnell weiterdreht und uns nur Erinnerungen an den gestrigen Tag, den letzten Sommer und die besten Freunde aus der Schulzeit lässt. Ein Foto kann ich aber nicht ignorieren, weil es mich magisch anzieht, weil es ein Ritual geworden ist. Langsam komme ich näher und betrachte die Aufnahme, die in einen schlichten, schwarzen Rahmen eingefasst ist. Es zeigt Simon mit einem breiten Lächeln, den Arm um mich gelegt. Und Dave, in seiner Kneipe am Billardtisch. In einer Zeit, in der alles noch richtig war.
„Lynn?”
Daves Stimme überrascht mich. Kurz zucke ich zusammen, als ich mich umdrehe und er in der Tür zur Küche auftaucht. Er trägt ein weißes Hemd, eine schrecklich falsch gebundene Krawatte und ein trauriges Lächeln im Gesicht. Seine braunen Haare sind deutlich ergraut, seine einst strahlenden grünen Augen wirken müde. Früher kam er mir so groß und kräftig vor, als könne er Bäume ausreißen. Inzwischen wirkt er eher zerbrechlich, auch wenn er noch immer eine imposante Figur hat. Alt ist er geworden in der letzten Zeit. Seine Haut wirkt grau, seine Augen leer. Dabei sind nur knapp dreißig Tage vergangen, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen habe.
„Hi, Dave.”
Nein, dieses Haus ist nicht das meiner Eltern, aber dennoch fühlt
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