Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Musik ist viel zu laut, weshalb ich unaufgefordert eintrete. Der Raum ist lang und schmal. Ganz hinten steht ein alter grüner Sessel. Über die Lehne ragt Josch’s Hinterkopf hervor. Er bemerkt mich nicht, starrt auf einen großen Fernseher. Ich wusste es. Er spielt
Friday the 13th
auf dem
C64
. Der grob gepixelten Frau, die den Gesundheitszustand des Spielers anzeigt, stehen schon ordentlich die Haare zu Berge. Lange macht Josch es nicht mehr. Ich trete von hinten an ihn ran.
„ Geh ins Haus“, sage ich.
Josch schleudert den Joystick fort und der Schreck reißt ihn auf die Füße. Er wirbelt herum.
„ Bist du bescheuert, Mann?“ Er keucht und hält sich die Brust.
„ Jason ist fast immer im Haus“, erkläre ich.
„ Was willst du hier?“, fragt Josch kopfschüttelnd, greift sich den Joystick vom Boden, setzt sich in den Schneidersitz in den Sessel und spielt weiter.
„ Es tut mir leid wegen heute Morgen“, sage ich ehrlich und schaue mich um. An der einen Wand befindet sich ein metallenes Regalsystem voll mit
Star-Wars-
Figuren, aufgehängt wie im Kaufhaus. Und Raumschiffe. Laserkanonen. Ich erkenne die von
Buck Rogers
. Alles original verpackt. Weil es kein Sammlerobjekt mehr ist, wenn man es auspackt. Grausame Welt.
„ Wenn du das alles bis 1995 behältst, bist du ein reicher Mann.“
„ Kommt jetzt wieder die Junge-aus-der-Zukunft-Nummer?“, raunt Josch und prügelt mit der Metallstange auf Jason ein. Er war im Haus.
„ Josch, ich brauche Hilfe.“
Es klingt ein bisschen flehentlicher, als ich es beabsichtigt hatte.
„ Warum fragst du nicht deine tollen Freunde?“
„ Weil sie Idioten sind.“
„ Warum hängst du dann mit denen rum?“
„ Weil sie meine Freunde sind.“
Josch legt den Joystick weg, zieht eine Grimasse und steht auf. Die plärrende, mollige Musik aus dem Computer verleiht der Situation etwas Dramatisches.
„ Ich hab keinen Bock, mich verarschen zu lassen.“
„ Ich verarsch dich nicht. Ehrenwort! Frag’ mich was. Was du willst!“
„ Wer gewinnt den Atomkrieg?“, fragt Josch ohne eine Sekunde nachzudenken.
„ Die Sowjets“, sage ich mit gespielter Trauermiene. „Danach ist ganz Europa eine postnukleare Wüste voller Mutanten.“
„ Echt?“, staunt Josch.
„ Scheiße, nein!“, lache ich. „Der Kalte Krieg ist in den Neunzigern Geschichte.“
Josch lacht mit. Ich weiß nicht, ob er mir glaubt, aber das ist ja auch viel verlangt. Wenn wir zusammen lachen, ist das schon ein guter Anfang.
„ Erzähl mir von den neuen
Star Trek-
Serien.“
Ich hocke mich auf den Fußboden und lege los. Ich erzähle vom
Treffen der Generationen, von Captain Kirks Tod, von Picard und Geordy. Von Data und Worf. Von den Borg
. Josch hängt an meinen Lippen wie ein Kranker am Tropf. Ich merke, dass er ins Grübeln kommt, und lege nach.
Voyager – Captain Janeway. Deep Space Nine – Captain Sisko
. Dann
Star Wars
.
Die Klonkriege. Der junge Obi-Wan. Anakin. Prinzessin Amidala
. Josch wankt, lässt die Deckung hängen. Ich sehe, dass die Details meiner Erzählung ihn zweifeln lassen. Er fragt sich, ob ich mir das alles ausgedacht habe, um ihn zu verarschen. Nerdwissen ist also doch zu was gut.
Indiana Jones und der letzte Kreuzzug. Das Königreich der Kristallschädel. Der Herr der Ringe. Das Internet. Handys. Smartphones. Tablet-PCs
. Ich rede mich in Rage. Bis Josch die Hand hebt. Er braucht eine Pause, weil ihm der Kopf raucht. Technischer K.o.
„ Außerdem“, sagt er, „ist das hier total gefährlich. Ich darf nicht zu viel über die Zukunft wissen. Weiß doch jeder. Sonst hört das Universum vielleicht auf, zu existieren.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Seine Mutter kommt herein und bringt uns
Coca-Cola
. Nachdenklich nippt Josch an seinem Glas. Ich gönne ihm die Denkpause und halte die Klappe.
„ Okay, mal angenommen, du sagst die Wahrheit. Was willst du hier?“
Ich merke, dass sich mein Magen zusammenzieht wie eine verdorrende Pflaume. Eine berechtigte Frage. Also erzähle ich. Das
Live-Aid
-Konzert. Die Explosion. Die Toten. Josch macht große Augen und drückt die Luft durch die Lippen, dass es quietscht.
„ Das ist ja total ungeil“, resümiert er meinen Bericht.
Die Sache mit meinem Vater habe ich ausgespart.
„ Du musst das jemanden erzählen“, findet er.
„ Hab ich doch“, erwidere ich.
Josch schüttelt den Kopf:
„ Nein! Der Polizei. Dem FBI. Der Bundeswehr.“
„ Als ob die mir glauben.“
„ Was denn dann?“
„ Ich
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