Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Spüle. Alles klar?“
Ich klettere rein. Josch winkt mir.
„ Ich habe Hunger“, bemerke ich.
Zip verabschiedet mich mit erhobenen Daumen und klappt zu.
Dann bin ich allein. Es ist eng und dunkel. Das Brummen des Motors ist laut, die Stimmen meiner Freunde leise und dumpf. Ich kann mich kaum rühren, geschweige denn die Beine strecken.
Hoffentlich geht es Josch gut. Bettina. Ich würde gern nur kurz nach ihr sehen. Vorsichtig drücke ich gegen die Bank. Sie rührt sich nicht. Ich bin eingesperrt!
Das Atmen fällt mir schlagartig schwerer. Die Dunkelheit flackert mir vor den Augen. Wie lange soll ich denn hier drin bleiben? Ob die Luft reicht? Hoffentlich fährt Wick die Karre nicht ins Meer.
Hier drin ist es wie in einem scheiß Sarg. So lag Papa in der Erde. Wegen mir. Fraß für die Würmer. Asseln im Haar. Maden in den leeren Augenhöhlen. Schimmel auf der kalten, verbrannten Haut. Aufgebläht.
Ich muss an was Schönes denken. An Bettina. Aber was passiert da draußen mit ihr? Zip und seine Jungs sind doch völlig irre! Mein Herz beginnt zu pochen. Ich atme flach und schnell. Zu schnell. Ich friere und schwitze. So eng hier. Zu eng. Das Flackern in der Dunkelheit manifestiert sich. Die Bestie hockt auf meiner Brust. Ihre Tentakeln zucken. All ihre Augen fixieren mich. Schon springt sie mir an die Kehle. Sie trinkt von mir.
Fühlt sich so sterben an? Ich kann nicht schreien, nicht strampeln, nicht um mich schlagen. Mein Blut fließt schwer und dick wie Öl durch meine Adern. Mein Körper ist ein Sack voll Schleim, in dem die Brut der Bestie Unterschlupf findet. Wo es feucht ist und warm. Ich nähre sie an meinen Zitzen. Sie saugen mich leer, bis auf den letzten Tropfen. Bis meine Augen aus dem Schädel rollen, zu Staub zerfallen, und ich mich auflöse in gnadenvolles Nichts.
Ich verpuppe mich, kneife die Augen ganz fest zu und summe die Titelmusik von
Rocky
. Keine Ahnung, warum gerade die mir jetzt in den Sinn kommt.
Die Bestie hält inne. Ihr Griff lässt nach. Gierig sauge ich die Luft ein. Sie schnuppert an mir, will durch meinen Bauchnabel in mich eindringen. Ich summe weiter. Sie versucht, durch mein Ohr in meinen Kopf zu kriechen. Lange halte ich das nicht mehr aus. Tausend kleine Zungen lecken über mein Gesicht. Raue Zungen. Wie von Katzen. Katzenbabys, mit denen ich auf der Wiese herumtolle. Aber dann fallen ihnen die süßen Gesichter ab wie Masken. Sie sind die Brut! Zahnbewehrte, runde Mäuler. Kloaken. Ich schreie und schlage wild um mich. Ein Spalt Licht, das Dunkel weicht. Dann sehe ich Bettina und Josch.
Die See ist ruhig. Möwen kreisen über dem Schiff. Ich schmecke das Salz auf meinen Lippen. Der Fährhafen von Calais liegt erst ein kurzes Stück hinter uns. Ein unübersichtliches Sammelsurium aus Straßen, Parkplätzen und Containern.
Hier an Deck tummeln sich zahllose Leute in Windjacken. Ich friere in meinem dünnen Jackett. Bettina friert auch, darum gebe ich es ihr. Es ist ihr zu groß, die Ärmel baumeln lang an ihr herab. Süß sieht sie aus.
„ Was war denn mit uns los?“, sagt sie kopfschüttelnd.
„ War doch eigentlich ganz lustig“, entgegne ich.
Wie sie mich anschaut. Nein? Okay.
Ich stelle mich an die Reling und schaue übers Wasser. Alle haben meinen Ausraster im Bus mitbekommen, aber keiner hat danach gefragt. Bettina umarmt mich von hinten, drückt sich ganz fest an mich. Wie warm sie ist. Ich sorge mich um sie, bin verwirrt und erschöpft. Das letzte Kapitel unserer Reise steht unmittelbar bevor.
Zip und die Jungs kommen. So wie es aussieht, haben sie den Imbiss leer gekauft. Ich habe auch Hunger, aber mir ist schlecht. Josch und Aura sind im Bus geblieben. Da wäre ich jetzt auch gern. Allein. Wie ein Käfer unter einem Stein.
Sandokan verschlingt etwas Undefinierbares in Soße und zieht zwei
Pirate Play Kits
hervor. Er befreit die Augenklappe aus der Verpackung, legt sie an, bewaffnet sich mit einem Plastik-Krummsäbel und wirft mir den anderen zu. Ich fange ihn reflexartig.
„ Har!“
Er fordert mich zum Duell.
Das ist mir unangenehm, und ich versuche, ihn freundlich lächelnd zu ignorieren. Bin nicht in der Stimmung.
„ Har!“
Er schlägt gegen meinen Säbel, den ich halbherzig hinhalte und hoffe, dass er so die Lust verliert.
Pustekuchen! Er zieht Bettina von mir weg, hält ihr den Säbel an die Gurgel.
„ Dein Mädchen gehört mir!“, verkündet er mit rollendem
R
.
Die Leute gucken schon. Bettina macht gute Miene zum bösen
Weitere Kostenlose Bücher