Mal Aria
am 6 . November 1880 den »Bacillus malariae« zerstörte. Der in Paris geborene Laveran war der Enkel und Sohn eines Militärarztes, und er war nicht derjenige, der diese Reihe revolutionierte. Laveran war eine seriöse Erscheinung, mit einem Zwickerglas im rechten Auge, einer Uniform und einem gepflegten Bart. Seine verbüßte Kriegsgefangenschaft konnte seiner geraden Haltung nichts anhaben. Im Jahr 1878 , im Alter von 33 Jahren, ging er nach Bône in Algerien und später nach Constantine, wo er im Militärkrankenhaus arbeitete. Täglich begegnete ihm dort die Malaria.
Meine Vorfahren hatten sich an der nordafrikanischen Küste ausgebreitet. Die Franzosen selbst hatten durch die Einführung des Reisanbaus ein Moskito-Paradies in den Küstenfarmen geschaffen: stehende Gewässer, Pfützen, kleine Oasen. Die Mücken waren die eigentlichen Kolonialherren. Sie brüteten fleißig wie die Fliegen, expandierten in alle Richtungen. Die Franzosen mussten ihretwegen eine Schar von Ärzten entsenden, um die – unwissentlich hausgemachte – Katastrophe halbwegs in den Griff zu bekommen.
Laveran begann sich für die Krankheit, der er in Frankreich kaum begegnet war, genauer zu interessieren. Er führte Autopsien an seinen verstorbenen Patienten durch. Die Krankheit war mit dem Tod verstummt, aber sie hinterließ ihren Fingerabdruck. Der Arzt öffnete die Körper mit einem sauberen Schnitt, so wie es die Wari-Indianer, tausende Kilometer von ihm entfernt, lange Zeit taten. In Mato Grosso, Brasilien, zerlegten sie die Körper ihrer Stammesbrüder, entnahmen die Organe und sahen, dass die Leber der Verstorbenen gräulich war, schmutzig, fast schwarz, als wäre sie zuvor in eine Grube gefallen.
Als sie davon kosteten, spuckten sie das Stück Fleisch auf der Stelle wieder aus, so bitter schmeckte es. Sie lernten Malaria über den Kannibalismus kennen. Laveran ging natürlich nicht so weit, von dem Organ zu kosten, aber er sah dasselbe in den toten, ausgemergelten Körpern: eine kohlefarbene Leber. Alle hatten sie, egal, ob sie werdende Mütter waren oder Kinder, ob sie arm waren oder reich, zierlich oder fettleibig. In ihren Blutbahnen fand er zudem immer wieder schwarze Farbpigmente. Die schmutzige Leber und das schwarze Blut machten alle gleich. Als hätten die Körper ein unterirdisches Kommunikationssystem, das die Verfärbung befiehlt. Diese Tatsache erschuf in ihm die Vorstellung, dass der Mensch nicht mehr einzigartig war, sobald er von diesem Unbekannten angegriffen wurde. Jeder Körper reagierte gleich in der Bedrohung oder wurde zum Gleichen gezwungen. Ganz egal, welcher Mensch es war.
Wer hatte die Macht, das zu tun? Der Militärarzt studierte zwei Jahre lang die einzelnen Akte des Malariatodes. Es ist schon seltsam bei euch Menschen. Während der Körper noch gegen die Krankheit kämpft, beginnt er, unabhängig davon, zu sterben. Euer Tod ist selten ein fester Punkt, wie der Schlag auf einen Mückenkörper. Kein Aus-Vorbei. Er entwickelt sich. In verschiedenen Ecken des Körpers lösen sich die Dinge langsam auf wie Brausetabletten. Gewebe sterben ab, Organe versagen. Der Tod ist nicht einfach der Schlussakt der Krankheit. Im Verborgenen betreibt er längst sein eigenes System, seine eigenen Prozesse, er operiert parallel zur Krankheit, ist wie sie weit verzweigt. Er ist an sich lebendig. Man vergisst das immer.
Laveran ärgerte sich, weil er nicht weiterkam. Von nun an wollte er sich auf die Untersuchung der noch lebenden Patienten konzentrieren. Immer tiefer in sie hineinschauen, sich immer weiter zu der kleinsten Einheit ihres kranken Wesens vorarbeiten. In ihrem Blut florierte noch der Ursprung des schwarzen Geheimnisses. Mit seinem Mikroskop, das zu dieser Zeit nicht mehr als optisches Geplänkel war, zog er sich zurück. Unter dem Glas fand er neben den pigmentierten Blutzellen auch gefärbte, kugelförmige Elemente in verschiedener Größe, und noch auffallender: schwarz pigmentierte, halbmondartig geformte Körperchen. Waren das lebende Tierchen? Reihenweise kamen die Patienten zu ihm. Um ihre Schultern hatten sie ein Handtuch gehängt. Wenn die Kälte kam und die Zähne schlotterten, wickelten sie sich darin ein, und wenn die Hitze kam, trockneten sie ihren Schweiß damit. Ihre Augen glänzten, und doch lag ein matter Schleier darüber. Ihr Blick ging in die Ferne. Weit ging er, unsagbar weit. Auf eine sonderbare Art konnte man ihnen nicht in die Augen schauen. Wo waren sie? Wer brachte sie fort?
Weitere Kostenlose Bücher