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Mal Aria

Mal Aria

Titel: Mal Aria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Stephan
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Laveran drängte es, das herauszufinden. Er wollte die Menschen nicht nur behandeln, denn dann würde er Hunderte, Tausende nur behandeln, aber niemals das Schreckliche verhindern.
    Jemand war perfekt gerüstet. Nun musste auch er sich rüsten. Er wollte sehen, er wollte verstehen. Mehr war es nicht. Sein Blick hing an den Körperzellen, wie ein Ohr an der Tür des Feindes horchte. Was hatten ihm die Vorgänge zu sagen? Es ging nicht mehr um das Sichtbare, das, was sie ausdrückten, sondern um das, was sie geschickt zu verbergen wussten. In seiner Wiederholung würde sich das Geheimnis irgendwann enthüllen, so hoffte Laveran. Am Morgen des 6 . November 1880 wurde er von einem fiebernden, vierundzwanzigjährigen Soldaten aufgesucht. Bevor er den jungen Mann mit Chinin behandelte, entnahm er wie immer etwas Blut, ein Tropfen davon landete auf dem Glas seines einfachen Mikroskops. Und nun geschah etwas Seltsames. Der Arzt untersuchte das Blut nicht sofort. Für mindestens fünfzehn Minuten musste er etwas anderes getan haben. War er aufgehalten worden? Kümmerte er sich um den jungen Soldaten? Suchte er ungewöhnlich lange die Toilette auf? Irgendein Zufall oder eine bewusste Entscheidung führten jedenfalls zur Enthüllung einer Sensation. Die Geißeln, die hier längere Zeit an der Luft lagen, mussten aufgrund der veränderten Temperatur annehmen, sie seien wieder in einer Mücke. Die Welt dazwischen kannten sie nicht. Sie begannen also nach einer Viertelstunde mit ihrer Verwandlung. Die kreisförmigen Sphären bildeten peitschenartige Fortsätze, die wild hin und her schlugen. Sich schließlich ablösten und wie zuckende Saugorgane die sie umschließende Blutzelle angriffen.
    Laveran blieb der Mund offen stehen, als sein Auge auf der Linse ruhte, in ihm breitete sich eine wärmende Ruhe aus. Es handelt sich ohne Frage um lebendige Wesen. Er war der erste Mensch, der das Plasmodium, den Einzeller, die Geißel, die Malaria verursachte, gesehen hatte. Würde ihm das irgendjemand glauben? Er fertigte eine Zeichnung an. Gepunktete Kreise, Männchen, Halbmonde, Ostereier mit schwarzen Punkten, kaulquappenförmige Wesen, wie von Kinderhand gekritzelt. Laveran raufte sich die Haare. Es war die Formenfaltigkeit des Parasiten, die immer wieder neue Maskierung, die eine Lösung des Problems sehr unwahrscheinlich machte.
    Wie sollte man einem einzigen Mikroorganismus mit so vielen Gesichtern je ganz auf die Schliche kommen? Vor allem: Wo kam er her? Wie zum Teufel gelangte er in den menschlichen Körper? Wer fütterte, wer nährte ihn, wo pflanzte er sich fort?
    Darauf hatte auch Laveran keine Antwort. Weder im Boden noch im Wasser, noch in der Luft war er fündig geworden. Er schickte einen Brief mit seinen Beschreibungen an die Académie Nationale de Médecine in Paris – und erntete viel Gelächter. Tanzende Geißelkörperchen, die ein unbekannter Militärarzt in Algerien gesehen haben will? Wo jeder wusste, dass ein Bakterium aus den Sümpfen die Krankheit brachte? Am wenigsten wollten ihm natürlich die Italiener glauben. Ein Franzose, ausgerechnet, soll das Rätsel ihres Römischen Fiebers neu entschlüsselt haben, unmöglich. Es sollte noch lange dauern, bis Laverans Entdeckung anerkannt wurde. So vergingen weitere Jahre der Ungewissheit und des Sterbens, in denen niemand von unserer Hauptrolle wusste.
    Wie es der deutsche Arzt Otto Schellong am 25 . Februar 1886 , soeben in Neuguinea eingetroffen, in seinem Tagebuch festhielt: »Um den Malaien das nötige Quantum Chinin beizubringen, musste ich mir die Kranken aus den einzelnen Winkeln ihres gemeinsamen Wohnhauses oder unter den Bäumen der Insel, in deren Schatten sie ruhten, zusammensuchen; sie sind die denkbar anspruchlosesten Patienten; wie Igel zusammengekrümmt, liegen sie auf ihrer Bastmatte und haben sich die Wolldecke über den Kopf gezogen. Wenn der Fieberanfall vorüber ist, kriechen sie wieder hervor. Wo diese Erkrankungen mit einem Mal herkommen, lässt sich nicht einmal vermuten. Wir beschuldigten die recht engen und vollgepfropften Wohnräume der Malaien; dann wiederum schien uns das Trinkwasser verdächtig, das wir der Flussmündung des Bumi entnommen hatten. Wir tranken das Wasser seitdem nur gekocht und gefiltert, aber auch das hatte keinen Erfolg; vorläufig bleibt die Ursache des Malariafiebers also noch in gänzliches Dunkel gehüllt.«
    *
    Das Hellrosa des Abendhimmels, der Geruch von Meer, der Geruch von süßen Zwiebeln in der Pfanne, das

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