Mala Vita
Feuerprobe: den Mord. Das erste Mal wird der Junge von einem Profikiller begleitet. Wenn er die Nerven behält, kann er in die Mafia aufgenommen werden.«
»Doch ein Seelchen!« Casagrande grinste aufreizend. »Wer hätte das gedacht!«
D’Aventura ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sie sind aus Roma, nicht wahr? Ein Ignorant, anmaßend und überheblich. Insofern ist es für Sie vielleicht hilfreich, wenn Ihnen jemand erzählt, wie es in Sizilien wirklich zugeht.«
»Wir wollen doch nicht persönlich werden, oder?«, schaltete sich Colonnello Fessoni ein. »Ihre mystifizierende Darstellung einer Mafiakarriere kann ich in jedem mittelmäßigen Roman nachlesen.«
»Wenn Sie es wenigstens täten!«, antwortete d’Aventura knapp. »Dann hätten Sie eine kleine Ahnung, was Sie in diesen mystischen Gefilden antreffen, nämlich eine kompakte Gegenwelt zu unserer erwünschten Gesellschaft in Italien. Eine festgefügte Organisation mit einer eigenen, höchst bizarren Moral. Die heiligste Institution der Mafia ist die Familie, sie darf nicht angetastet werden. So sind beispielsweise Scheidungen immer noch streng verboten. Um bestehen zu können, muss der Mafioso zeigen, dass er seine Familie fest im Griff hat. Ist der Sohn homosexuell, wird er verstoßen. Ist die Ehefrau fremdgegangen, muss sie nach den Regeln der Mafia erschossen werden, denn sie hat dem Mann und der ganzen Familie die Ehre geraubt. Die Betroffenen bleiben stumm und leidend zurück; seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, ist oberste Mafiamaxime.«
»Einzelschicksale«, bemerkte Casagrande. »Sizilien ist meiner Meinung nach der unterentwickelte Schandfleck Italiens.«
D’Aventura schüttelte fassungslos den Kopf. »Haben Sie sich je Gedanken gemacht, wie dieser unterentwickelte Schandfleck funktioniert? Ich rede hier über die mafiöse Psyche. Es herrscht die totale Unterwerfung ohne jedes Nachdenken. Man verlangt die absolute Treue zur Mafia, die Verleugnung des eigenen Ichs. In festgefügten Mechanismen wird die Rollenaufteilung von Mann und Frau ins Extrem gesteigert. Und es wird ohne jede Emotion getötet. Man bekommt einen blutigen Auftrag und führt ihn aus, ohne zu fragen, warum und wieso.«
»Ich bin überzeugt, es würde sich lohnen, den Mezzogiorno mitsamt Sizilien gesellschaftlich und moralisch zu fördern. Dazu braucht man natürlich auch viel Geld. Was das angeht, gebe ich Ihnen völlig recht.«
»Für die Mafia würde es sich nicht lohnen, wenn Siziliens Entwicklung gefördert wird. Es ist doch hinreichend bekannt, ein Großteil der finanziellen Zuwendungen wird von der Organisation mit dem Effekt abgefangen, dass alles bleibt, wie es ist. Die Perversität dieser Erkenntnis besteht darin, dass einige maßgebliche Herren in der Regierung an dieser Schweinerei kräftig mitverdienen.«
»So provokativ kann man das nicht ausdrücken«, sagte Fessoni herablassend, als sei d’Aventura ein dummer kleiner Junge, dessen überschäumendes Temperament von einer Autorität in die richtige Bahn gelenkt werden müsse. Abrupt lenkte der Offizier das Gespräch in Richtung Fernsehmord. »Wie schätzen Sie den Mord an Enrico Cardone ein? Fällt er Ihrer Meinung nach auch in die Kategorie der Kriminalromantik?«
D’Aventura warf dem Colonnello einen vernichtenden Blick zu. »Wenn wir bei Ihrem Terminus ›Kriminalromantik‹ bleiben wollen, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass dieser Mord nur die Spitze des Eisberges ist. Was mich an der Sache besonders stört ist die Tatsache, dass kein Mitglied der Ehrenwerten Gesellschaft sich derart in Szene setzen würde, es sei denn, er habe den Verstand verloren. Ich glaube nicht an die Tat eines Irren.«
»An was sonst?«, fragte Fessoni mit aufreizendem Unterton.
D’Aventura sah aus dem Seitenfenster. Mögen diese beiden Pappnasen noch so unwissend tun, dachte er, immerhin scheint die Ermittlungsmaschinerie des militärischen Geheimdiensts angelaufen zu sein. Weshalb sich aber der SISMI für Cardone interessierte, war ihm noch nicht klar.
Der Wagen stoppte in einer Seitenstraße vor einem Lokal, dessen Name d’Aventura bekannt vorkam.
»Wir sind da«, bemerkte Casagrande, stieg aus und sagte zum Fahrer, dass er sie in zwei Stunden wieder abholen solle.
Sie standen vor einem Gourmettempel, für den d’Aventuras Spesenbudget nicht annähernd ausgereicht hätte, aber er war ja eingeladen. Schon der Ort der Bewirtung warnte d’Aventura davor, allzu vertrauensvoll zu sein. Die beiden
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