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Mala Vita

Mala Vita

Titel: Mala Vita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio M. Mancini
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Kreditkartenzahlungen nach! Grast die Restaurants ab, fragt die Taxifahrer am Flughafen! Ich brauche ein möglichst komplettes Bewegungsprofil des Opfers. Alles klar?«
    »Securo!«
    D’Aventura zog die Schreibtischschublade auf, kramte nach seiner Taschenlampe und steckte sie in die Jackentasche. Venaro beobachtete seinen Chef mit einem Ausdruck der Verwunderung.
    »Ich fahre noch einmal zum Tatort und sehe mich in den Häusern der Umgebung um«, grummelte der Comandante, als er Venaros Blick wahrnahm, und warf sich die Jacke über die Schulter.
    »Eine ziemlich blödsinnige Idee, wenn du mich fragst.«
    »Dich fragt aber niemand, Emilio«, erwiderte d’Aventura brüsk. »Es kommt immer wieder vor, dass wir eine Kleinigkeit übersehen, ein winziges Detail, das wir nicht für wichtig halten oder auf das niemand achtet.«
    »Unsere Leute haben im Umkreis von fünfhundert Metern jeden Zentimeter abgegrast. Es gibt nichts, was du dort noch finden könntest«, meckerte Venaro.
    »Ich überzeuge mich lieber selbst, wenn du erlaubst.«
    »Wir wissen nicht einmal, ob der Mörder das Opfer nicht dort hingebracht hat. Keine Spuren, keine Hinweise darauf, dass sich Cardone gewehrt hätte, keine Abdrücke von Reifen. Nichts. Niemand hat etwas gehört oder gesehen. Die Leute in dieser Gegend schweigen wie ein Grab.«
    »Trotzdem! Ich muss mir noch einmal ein Bild vom Tatort und den Gegebenheiten machen.«
    Venaro setzte ein sorgenvolles Gesicht auf. »Ich finde deine Alleingänge nicht vernünftig. Soll ich mitkommen?«
    D’Aventura schüttelte ablehnend den Kopf.
    Der junge Commissario schaute seinen Chef wütend an. »Verdammt, sei nicht so stur!«
    »Du verstehst das nicht.« D’Aventura ging zum Fenster und blickte hinunter auf die Straße. »Es war ein Abend wie dieser, als Cardone umgebracht wurde. Ich will mich in die Situation hineinversetzen. Ich will die Umgebung des Tatortes auf mich wirken lassen. Für mich ist es eminent wichtig, solche Eindrücke selbst zu erfahren.«
    »Nimm wenigstens deine Pistole mit!«, riet Venaro seinem Chef und erhob sich. »Ruf mich an, wenn etwas sein sollte!« Dann verließ er das Zimmer.
    D’Aventura räumte die Unterlagen in den Aktenschrank und verschloss ihn. Er griff zum Hörer und meldete sich bei der Zentrale ab, ein tägliches Prozedere, der Sicherheit wegen. Dann warf er noch einmal einen Blick aus dem Fenster. Immer noch herrschte dichter Verkehr auf den Straßen. Er überlegte, ob er noch einen Cappuccino unten in der kleinen Cafeteria trinken sollte, bevor er sich aufmachte. Bestimmt würde er um diese Zeit eine halbe Stunde lang einen Parkplatz suchen müssen. Er nahm seine Jacke über den Arm, schaltete die Schreibtischlampe aus und verließ das Büro.
    Vor der Cafeteria musizierte eine Männergruppe mit Gitarre, Okarina und Tamburin. Aus den rauhen Kehlen erklang ein grausiger, sizilianischer Sprechgesang, der von Tod und Heimtücke, von Blut, Vergeltung und Rache erzählte.
»Chi vive di speranza muore cantando«,
so tönte d’Aventura der zynische Refrain entgegen – »Wer voller Hoffnung lebt, stirbt singend.«
    Obgleich die Gesänge der
malavita
in Italien strengstens verboten waren, hielt man sich in Sizilien nicht daran. Carabinieri hörten weg oder verschwanden, wenn das Schellentamburin der klagenden Okarina den Takt vorgab. D’Aventura blieb überrascht stehen und hörte den Männern eine Weile zu. Eine melancholisch-pathetische Stimme erhob sich plötzlich und wurde von einer Maultrommel rhythmisch begleitet. Sie schien den Comandante mit dem grausamen Refrain
Omertà, onuri e sangu
zu ermahnen, der Ehrenwerten Gesellschaft Respekt zu erweisen. Gleich einer Metapher unabwendbarer Sterblichkeit erinnerte der düstere Gesang an einen schnellen Tod. D’Aventura spürte die Gewalt, die in dem Gesang, dem
»Canto di mala vita«,
steckte, beinahe körperlich, eine Gewalt, die seit mehr als hundert Jahren die Köpfe der Sizilianer beherrschte. Angst und Misstrauen bestimmten als elementare Prinzipien das Leben der Menschen. Sie schwebten über allem wie ein Phantom und stellten die inneren Kräfte des herrschenden Systems dar. Gewalt war die Hebamme der sizilianischen Geschichte.
    Unvermittelt löste sich ein Mann mit Schlapphut und Gitarre aus der Gruppe und tanzte vor dem Comandante, als wolle er sagen: Sieh dich vor! Ein Schauer lief d’Aventura über den Rücken und drängte ihn, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, weiterzugehen.

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Prizzi
    A

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