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Mala Vita

Mala Vita

Titel: Mala Vita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio M. Mancini
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uf dem belebten Corso Umberto, der Hauptstraße des über tausend Meter hoch gelegenen Bergdorfes Prizzi, herrschte immer noch die glühende Hitze des Hochsommers. Die Sonne schickte sich an, hinter den Hängen des Monte dei Cavalli unterzugehen, was Abkühlung versprach. In den verwinkelten Gassen und engen Sträßchen des am Steilhang gelegenen Ortes erwachte das betriebsame Leben. Sich in dem verzweigten und verwirrenden Labyrinth des unwegsamen Straßennetzes zurechtzufinden, war schon für Einheimische schwierig, für Fremde aber nahezu unmöglich. Tausende und Abertausende von Stufen, unzählige Absätze und Stiegengänge verbanden die verschachtelten grauen Häuser. In den stillen Gassen hallten die Schritte lange nach. In verstaubten Winkeln und auf abgelegenen Plätzen hörte man nichts weiter als den eigenen, angestrengten Atem. Durchbrüche und ineinander übergehende Hinterhöfe, atemberaubende Terrassen und abenteuerliche Anbauten durchzogen das wie ein undurchdringliches Bollwerk wirkende Dorf, dessen Bewohner von einem Ortsende zum anderen mehr als zweihundert Höhenmeter überwinden mussten.
    Zwei Männer, wie sie von ihrer Statur unterschiedlicher nicht sein konnten, trotteten auf der belebten Hauptstraße in Richtung der Chiesa di San Francesco. Der eine war groß, massig und beleibt. Sein Schädel mit schmalem Haarkranz saß auf einem Stiernacken, der in einen mächtigen Rumpf überging. Blauschwarze Tränensäcke ließen seinen Blick melancholisch erscheinen. In seinem gutmütigen Gesicht lag unendliche Traurigkeit. Während er wie ein schwergewichtiger Erpel mit rudernden Armen die Straße entlangwatschelte, schoben sich seine gewaltigen Hinterbacken gleich mächtigen Schiffskolben auf und ab.
    Der andere hingegen war hager und klein. Er glich Don Quichotte, dem Ritter von der traurigen Gestalt – ein ausgemergelter, herber Typ mit derbem, zerfurchtem Gesicht. Seine hohen, buschigen Augenbrauen und die riesige Hakennase erinnerten an einen Raubvogel. Besonders auffällig war aber seine ungesunde, graue Gesichtsfarbe, der man ansah, dass der Alte im Leben nichts ausgelassen hatte. Er rauchte wie ein Schlot, und es gab nur wenige, die ihn jemals ohne Zigarette im Mundwinkel gesehen hatten. Auch jetzt wippte der unvermeidliche Stummel zwischen seinen dürren Lippen.
    Der Kleidung nach zu urteilen waren die Senioren keine Bauern, vielmehr musste man angesichts der Maßanzüge und der teuren Schuhe vermuten, dass es sich bei den beiden um gutsituierte Unternehmer handelte, die ihren Lebensabend im wohlverdienten Ruhestand verbrachten. Sie schienen bekannt in Prizzi, denn die Passanten begegneten ihnen mit freundlicher Ehrerbietung.
    Don Licio Massimo und der kleine Don Bettino Santorini nahmen die Grüße mit kaum wahrnehmbarem Nicken entgegen, wechselten da und dort ein paar Worte mit Bekannten, denen sie zufällig begegneten, kümmerten sich aber ansonsten nur am Rande um das Geschehen auf der belebten Straße. Hin und wieder blieben sie stehen, diskutierten gestenreich miteinander, um nach einer Weile ihren gemächlichen Spaziergang wieder fortzusetzen.
    Don Massimo und Don Santo, wie sie von Einheimischen genannt wurden, waren die Herrscher Siziliens und genossen jenen Respekt, den sich manche Politiker wünschten, ohne ihm jedoch teilhaftig zu werden. Jeder wusste, was die beiden so mächtig hatte werden lassen. Santorini, Bürgermeister und größter Bauunternehmer der Insel, war nicht nur Herr über unzählige Arbeitsplätze, man sagte ihm auch beste Verbindungen zu ranghohen Politikern in Rom nach. Die straffe Organisation seines Familienclans rang den Menschen Achtung ab. Gab es Schwierigkeiten oder Probleme, konnte man sich an ihn wenden und durfte auf eine unbürokratische Regelung hoffen.
    Ebenso verhielt es sich mit Licio Massimo. Er genoss Reputation als ehemaliger Abgeordneter und Vorsitzender der Vereinigten Rechten und galt in der Region als Wohltäter. Viele verdienten ihr Brot in den zahlreichen Firmen, die er als Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer leitete.
    Die Konsequenzen freilich, wenn man sich gegen sie stellte, waren allen klar. In Sizilien war das kein Geheimnis. Für die Paten gab es weder Gewerkschaften, die gegen Überstunden protestierten, noch Betriebsräte, die sich Kündigungen entgegenstellten, noch einen Aufsichtsrat, der Rechenschaft über Investitionen verlangte. Was sich nicht regeln ließ, sich nicht von selbst erledigte oder nicht automatisch erledigt

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