Mala Vita
seinem Tod geschrieben«, murmelte er. »Um Gottes willen, was muss das für ein fürchterliches Gefühl sein, wenn man ahnt oder gar weiß, dass man umgebracht wird.«
»Grässlich.« Carlo nickte ergriffen. »Weshalb ist er nicht zur Questura gegangen?«, fragte er nachdenklich.
»Im Brief ist die Rede von einem Notizbuch«, sagte Cardone. »In einem Banksafe in Saint John’s. Auf was, um Himmels willen, hat er sich nur eingelassen? Und weshalb soll mir im Notfall nur dieser Santapola helfen können?«
»Dio cane!«,
erwiderte Carlo konsterniert. »Das klingt, als erwartet er, dass auch dir etwas zustoßen könnte.«
»Ja, danach klingt es. Aber wieso denkt er das?«
»Du solltest sofort zu Questura gehen! Und nimm das nicht auf die leichte Schulter!«
»Und was soll ich den Carabinieri sagen? He, hallo, Leute! Mein Bruder hat ein Notizbuch in einem Banksafe auf Antigua versteckt. Darin werdet ihr wahrscheinlich etwas Interessantes finden … Ja, aber was? Weshalb schreibt er dann nicht, ich soll mich an die Carabinieri wenden, sondern explizit an den Staatsanwalt? Verdammt, Enrico hätte selbst gehen müssen!« Cardone schneuzte sich. »Vor zwei Wochen war mein Leben noch in Ordnung. Und jetzt? Plötzlich habe ich das Gefühl, auf einer Bombe zu sitzen, bei der ich nicht weiß, wann sie hochgehen wird.«
»Lass uns nachdenken! Das ist allemal besser, als deinem Bruder nachträglich Vorwürfe zu machen. Stell dir die Angst vor, die er gehabt haben muss!«
»Du hast recht! Wahrscheinlich war er paralysiert. Anders kann ich mir den Inhalt seines Briefes nicht erklären. Niemand lässt sich wie ein Lamm freiwillig zur Schlachtbank führen, und wenn er noch so Schlimmes von Seiten der Carabinieri oder des Staatsanwalts zu befürchten hat.«
Carlo stimmte schweigend zu, stand auf und ging in die Küche, um die Rotweinflasche zu holen.
»Ich bin sicher«, rief Cardone seinem Freund nach, »Senna und Pantrini wissen genau, was los ist. Während der Fahrt habe ich mir überlegt, was ich wegen der beiden unternehmen könnte.«
Er überflog noch einmal den Brief seines Bruders, bevor er ihn langsam zusammenfaltete und in den Umschlag zurücksteckte. Tränen standen ihm in den Augen. Nie hätte er Enrico solch ergreifende Worte zugetraut. Nie hatte ihn sein Bruder zu Lebzeiten gesagt, dass er ihn auf seine Art schätze.
»Wie um alles in der Welt kommt mein Bruder zu einem Konto in der Karibik?«, wandte er sich an Carlo, der mit der Flasche Wein zurückkam. »Das ist doch völlig verrückt!«
»Schwarzgeld?«, antwortete dieser, aber von seinem Gesicht konnte man ablesen, dass auch er sich keinen Reim darauf machen konnte. »Vielleicht hat er Geld unterschlagen und ahnte, dass man ihn zur Verantwortung ziehen würde? Cardone wiegte skeptisch den Kopf, während Carlo weitersprach. »Eines ist jedenfalls sicher: Wegen ein paar tausend Euro treibt keiner den Aufwand, in Antigua ein Konto zu eröffnen, von dem keiner etwas weiß.«
»Wenn er das Geld unterschlagen hätte«, wandte Cardone ein, »hätte ihn der Geprellte angezeigt.«
»Weshalb?«, entgegnete Carlo. »Wenn es schwarz war, hätte derjenige sich selbst belastet?«
»Stimmt …«, flüsterte Cardone nachdenklich. »Enrico muss etwas gewusst haben, was für irgendjemanden gefährlich werden konnte. Aber dass man ihn auf diese Weise ermordet hat!«
»Meinst du, er hat jemanden erpresst?«
»So sieht es für mich aus. Jedenfalls kann es sich nicht um Schwarzgeld oder Steuerhinterziehung handeln. Finanzämter bringen ihre Schuldner nicht um. Aber die Mafia!«
Endlich hatte er es ausgesprochen, was er die ganze Zeit aus Angst verdrängt hatte, und endlich sah er der Wahrheit ins Gesicht. Enrico hatte Verbindungen zur Mafia unterhalten. Eine andere Erklärung gab es in Anbetracht der Umstände nicht. Die öffentliche Hinrichtung seines Bruders, Sennas hektische Säuberungsaktion im Büro, Pantrinis unterschwellige Warnung, der Brief – all das ließ keinen anderen Schluss zu.
»Ach du Scheiße …!«, entfuhr es Carlo bestürzt. »Das kann heiter werden.«
»Und ich sitze mittendrin«, bemerkte Cardone düster, »obwohl sich alles in mir weigert zu akzeptieren, dass Enrico kriminell war. Klar ist, Senna vernichtet keine Bankbelege, wenn alles in bester Ordnung wäre.«
»Logisch betrachtet würde das aber eher für Schwarzgeld sprechen und nicht für eine idiotische Erpressung«, folgerte Carlo. »Kein Mensch ist so dämlich, sich mit der Mafia
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