Mala Vita
Provision, die einem der Staat für die Erarbeitung der Steuern zuerkennt. Möglicherweise war dein Bruder ähnlicher Meinung. Er hat seine Honorare nach Antigua überwiesen und besagte Provision in Italien ausgegeben. Klingt doch irgendwie plausibel. Findest du nicht?«
Cardone tippte sich mit dem Zeigefinger an den Kopf. »So funktioniert das garantiert nicht. Die Mandanten meines Bruders hätten dann das Honorar in bar bezahlen müssen …« Er stockte.
»Eben!« Carlo grinste.
»Ich weiß nicht. Aber wie kriegst du Geld unbemerkt über die Staatsgrenze?«
»Keine Ahnung, ich hatte noch nicht so viel, um es ernsthaft zu versuchen. Mit einem Koffer, nehme ich an. Flug buchen, hinfliegen, einzahlen, in dieser Reihenfolge«, meinte Carlo und leerte sein Weinglas.
»
Dio mio
, bist du naiv! Wie soll denn das bei den heutigen Kontrollen funktionieren?« Cardone schüttelte ungläubig den Kopf. »Trotzdem, wenn ich das so höre … Ich meine, wenn man sich auf einmal direkt damit auseinandersetzt … Irgendeinen Dreh wird es geben.« Er zog seine Stirn kraus und dachte nach. »Was gibt es noch Interessantes über Antigua?«, fragte er plötzlich.
Carlo legte eine Hektik an den Tag, die Cardone an ihm nicht kannte. Er rannte zum Drucker und zog einen kleinen Stapel Ausdrucke aus dem Schacht. »Du wirst es nicht für möglich halten. Die Regierungen dieser karibischen Kleinstaaten werben unverhohlen darum, man möge das Kapital in ihrem Land anlegen. Dort sei es jedem fiskalischen Zugriff entzogen. Anwaltsbüros preisen die Offshore-Welt als perfekte Umgebung an, um Vermögen zu schützen. Offshore-Zentren, so sagen sie, sind Finanzplätze mit mehr als hunderttausend Briefkastenfirmen, die die günstige Steuersituation und die niedrigen Standards in der Regulierung nützen. Und hier erst! Hör dir das an, Roberto! Das muss man sich einmal reinziehen! In Antigua kennt man weder Buchführungspflicht noch Bankenaufsicht oder Steuerkontrollen. Ebenso wenig gibt es – hier steht es wortwörtlich – strafrechtliche oder Rechtshilfebestimmungen.«
»Weißt du, was das heißt?«, erwiderte Cardone.
Carlo grinste. »Klar! Du brauchst nur die Kommentare zu lesen, die ich hier gefunden habe. Viele kriminelle Organisationen nützen die günstigen Möglichkeiten in den Offshore-Zentren, um Briefkastenfirmen zu errichten oder ihr Geld dort zu parken.« Er schaute triumphierend auf. »Was sagst du dazu? Wahrscheinlich hat nicht nur die Mafia dort ihre Konten.«
»Sondern offensichtlich auch mein Bruder«, erwiderte Cardone sarkastisch.
»Mensch, Roberto! Mach nicht so ein Gesicht! Dein Bruder hat dir ein steuerfreies Vermögen vermacht! Wir sollten darauf anstoßen. Friede seiner Asche! Du darfst nur nicht der Mafia in die Quere kommen!«
»Ich glaube, ich träume«, murmelte Cardone, der allmählich seine Situation in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen schien. Er setzte sich aufs Sofa und überlegte. Wenn das Geld aus unrechtmäßigen Quellen stammte …? Er erschrak vor sich selbst, als er an den von ihm oft zitierten Satz dachte: Je mehr Geld, desto weniger Skrupel. Wie war es denn um seine Skrupel bestellt? Was würde das Vermögen bei ihm bewirken, wenn er es annahm, wie Enrico es sich gewünscht hatte?
Unvermittelt sprang er auf und umrundete mehrmals den Wohnzimmertisch. Er rang mit sich selbst. »Wenn ich Geld hätte, würde ich die Koffer packen und mit dem nächsten Flieger in die Karibik fliegen«, sagte er. »Ich muss wissen, aus welchen Quellen das Geld stammt!«
»Was redest du denn für einen Unsinn? Willst du den Scheinchen ansehen, wer der vorherige Besitzer war? Abgesehen davon hast du mir vor einer Stunde erzählt, dass dir dein Bruder Geld auf der Cassa di Risparmio hinterlassen hat. Fünfzigtausend Mäuse! Das wird doch wohl reichen, um ein Ticket zu buchen.«
»Bevor ich vom Nachlassgericht keine offizielle Mitteilung habe, kann ich keinen Cent abheben.«
»Wie viel Geld hast du auf deinem eigenen Konto?«, fragte Carlo.
»Knapp zweitausend. Mein Lesehonorar vom Teatro Comunale wird nächste Woche überwiesen. Aber viel ist das auch nicht. Du weißt selbst, wie knauserig Verlage sind. Alles in allem sind höchstens die Flugkosten und ein paar Tage Aufenthalt gedeckt. Wer weiß, wie viele Tage ich in der Karibik bleiben muss, bis ich an das Konto herankomme. Außerdem, ohne Papiere vom Nachlassgericht. Wer weiß, ob eine gerichtliche Verfügung aus Italien überhaupt anerkannt wird. Vielleicht
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