Mala Vita
was ist mit deinem Elternhaus?«
»Kanzleigebäude und Elternhaus gehören mir, sobald das Nachlassgericht das Erbe ordnungsgemäß bestätigt hat. Außerdem hat mir Enrico fünfzigtausend Euro hinterlassen. Sie liegen auf der Cassa di Risparmio in Pallanza.«
»
Madonna!
Bei allem Respekt, Roberto, dann bist du ja jetzt einigermaßen saniert!« Carlo hatte staunend sein Besteck abgelegt. »Das ist doch phantastisch! Aber dann wirst du sicher nach Premeno umziehen.« Seine Miene hatte sich plötzlich verdüstert. »Ich könnte es verstehen. Immerhin würdest du mietfrei wohnen und bräuchtest nicht andauernd hinter kümmerlichen Zeitungshonoraren herzuschreiben.«
»Mir ist auf der Fahrt hierher kurz durch den Kopf gegangen, dass wir beide an den Lago Maggiore ziehen könnten. Mein Elternhaus ist groß, wir hätten sehr viel Platz, und wo wir arbeiten, wäre letztendlich egal.«
»Und was spricht dagegen?«, fragte Carlo. Seine schwarz glitzernden Augen schienen ihren Glanz verloren zu haben.
»Dass ich die Nähe zur Kultur und zur intellektuellen Szene nicht gegen die saturierte Urlaubsmentalität am Lago eintauschen möchte. Die wahre Lebensqualität habe ich hier.«
»Auf der anderen Seite hängt doch jeder irgendwie an seiner Heimat.«
Cardone zuckte mit den Schultern. »Es war merkwürdig, als ich nach Hause zurückkehrte und durchs Dorf ging. Wenn du den Ort nach langer Zeit wieder besuchst, in dem du deine Jugendzeit verbracht hast, merkst du, dass es nicht die Örtlichkeit ist, nach der du dich gesehnt hast. Es ist die eigene Kindheit, die man erwartet. So viel hat sich verändert, und doch ist eine Menge gleich geblieben. Weder möchte ich das haben, was sich verändert hat, noch das, was gleich geblieben ist. Außerdem würde ich mir in Premeno nicht nur die Fesseln einer dem Tourismus dienenden Ordnung anlegen, sondern auch die einer vergangenen Zeit. Wenn man von Bologna zurückkommt an den Lago Maggiore, hat man das Gefühl, plötzlich alt zu sein.«
»Das verstehe ich«, antwortete Carlo bedrückt. »Ich kenne das Gefühl.« Er blickte gedankenverloren ins Leere.
»Was ziehst du für ein Gesicht?«, knurrte Cardone. »Du weißt, dass ich niemals von Bologna wegziehen würde. Niemals!« Er warf seinem Freund einen aufmunternden Blick zu. »Einmal ganz abgesehen von der Tatsache, dass du dir die Miete hier alleine gar nicht leisten könntest. Nein, das kommt nicht in Frage!«
Carlos Miene hellte sich auf. »Immerhin wäre es finanziell gesehen um Einiges vorteilhafter für dich.«
»Es ist jetzt so oder so vorteilhafter. Thema erledigt«, erwiderte Cardone. »Es ist schön zu wissen, dass ich in Zukunft unbelastet schreiben kann, ohne die Angst, wie ich den nächsten Monat überstehen soll. Unsere Freunde werden mich jetzt reich nennen«, brummte Cardone.
»Reich bist du erst, wenn es dir egal ist, wie viel dir das Finanzamt abnimmt. In deinem Falle wird es immer viel zu viel sein. Trotzdem, ich freue mich für dich.«
Auch in Cardones Augen konnte man zum ersten Mal so etwas wie verhaltene Zuversicht und sogar Freude erkennen.
Eine ganze Weile saßen sie nach dem Essen zusammen, und Cardone erzählte detailliert alles, was er in Premeno erlebt und welche Auseinandersetzungen er mit den Partnern seines Bruders gehabt hatte. Er schilderte, wie ihm der Richter das Alleinerbe über das gesamte Vermögen seines Bruders in Aussicht gestellt hatte, da es außer ihm keine Verwandten gab. »Und nun ist da nur noch dieser Brief, den ich bisher nicht gelesen habe. Er steckt zwischen Enricos Unterlagen in der Kiste.«
»Mach ihn endlich auf!«, meinte Carlo. »Oder fürchtest du dich davor?« Er stemmte sich aus dem Stuhl und brachte das Geschirr in die Küche. Als er mit zwei Gläsern Rotwein zurückkehrte, saß Cardone immer noch unschlüssig am Tisch. Carlo stellte ein Glas vor ihn und sah ihm direkt in die Augen. »Du hast Angst. Stimmts?«
»Ist das ein Wunder? Wenn ich nur an die Nachrichtensendungen im Fernsehen denke, die Enrico in die Nähe der Mafia rücken. Ich habe Angst, in dem Brief könnte stehen, dass die Schlagzeilen in den Medien zutreffen.«
»Schlimmer als die Medien behaupten, kann es nicht werden«, unkte Carlo.
»Salute! Morituri te salutant!«
Er hob sein Glas und nahm einen Schluck.
Cardone zuckte fatalistisch mit den Achseln. »Mein Bruder und ich hatten uns nicht viel zu sagen. Ich habe nicht gefragt, was er tut, und er hat meine Arbeit nicht ernst genommen. Er konnte nie
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