Mala Vita
Treppengeländer und blickte nach unten. Zwei Schatten huschten im Abstand von mehreren Sekunden die Treppe hinunter. Er kniff die Augen zusammen, um die Gestalten besser zu erkennen. Zu spät. Doch das erste Phantom war bereits aus seinem Gesichtsfeld verschwunden. Nur die zweite flüchtende Person konnte er noch sehen. Den leichtfüßigen Bewegungen und der Figur nach zu urteilen, hätte es eine sportliche Frau sein können. Die schemenhafte, filigrane Gestalt schien zu schweben und war in Sekundenschnelle aus dem Stiegenhaus verschwunden. D’Aventuras Mund war ausgetrocknet, und seine Kopfhaut juckte, für ihn ein untrügliches Zeichen von Gefahr. Er hatte gelernt, auf seine Gefühle zu achten, doch er wischte diese Regung schnell beiseite. Ich bin ein Idiot, dachte er und hätte sich für seinen Leichtsinn, alleine hierhergekommen zu sein, am liebsten geohrfeigt. Doch ein Zurück gab es jetzt nicht.
Er griff in die Seitentasche seiner Jacke und fummelte nach dem Handy. Siedend heiß fiel ihm ein, dass er es auf seinem Schreibtisch hatte liegenlassen. »Mist«, presste er durch die Lippen. Es war besser, sich jetzt auf das zu konzentrieren, was ihn erwartete, als sich über seine Nachlässigkeit zu ärgern. Er atmete tief durch. Plötzlich war ihm, als flüstere jemand in seiner unmittelbaren Nähe.
Instinktiv duckte er sich und versuchte, so flach wie möglich zu atmen, um besser zu hören. Bildete er sich nur ein, Stimmen zu hören? Das Wispern kam eindeutig aus der Richtung hinter seinem Rücken. Mindestens zwei Personen mussten sich in seiner unmittelbaren Nähe aufhalten. Hatte man ihn auf dem Ballarò beobachtet und ihn bis hierher verfolgt? Kaum denkbar! Vielleicht sind es auch nur Geräusche aus einer anderen Wohnung, versuchte er sich zu beruhigen.
Mit äußerster Vorsicht wandte er sich um und schlich dem Flüstern nach. Er spürte etwas Hartes unter seinem Fuß, aber es war zu spät. Das Knacken empfand er wie einen Schuss, der durch das Treppenhaus hallte. Er schreckte zusammen und hielt inne. Das Tuscheln erstarb.
Seine Augen versuchten die Dunkelheit zu durchdringen. Er konnte den sich in drei Richtungen teilenden Gang und Konturen herumstehender Gegenstände und Hindernisse einigermaßen wahrnehmen. Wie festgenagelt verharrte er auf dem Absatz des vierten Stockes und lauschte. Es herrschte beängstigende Stille. Er überlegte, ob er weitergehen sollte oder nicht. Der Schattenmensch vom Fenster musste sich seiner Einschätzung nach hinter der vorletzten Wohnungstür aufhalten. Wenn er der Sache auf den Grund gehen wollte, musste er sich beeilen.
Er entsicherte die Pistole und wandte sich wieder um. Er musste darauf vertrauen, dass er nicht von hinten angegriffen wurde. Schritt für Schritt näherte er sich der Wohnung. Nach wenigen Sekunden, die ihm selbst wie eine Unendlichkeit vorkamen, stand er vor dem Eingang. Er legte sein Ohr an die Tür. Zu seiner Überraschung war sie nur angelehnt und er zuckte zurück. Wie ein Stromschlag raste ein Warnsignal durch seine Adern. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder wurde er hinter der Tür erwartet und das Ganze war eine Falle, oder die Wohnung war bereits verlassen.
Zentimeter für Zentimeter schob er seine Hand durch den Türspalt und tastete nach einem Lichtschalter. Endlich fühlte er ihn. In der gleichen Sekunde, in der er den Schalter umlegte und das Licht aufflammte, stieß er mit einem brutalen Fußtritt die Tür auf und ließ sich auf die Knie fallen, die Pistole in die Wohnung gerichtet. Hektisch irrte sein Blick durch den ersten Raum.
Bis auf halbe Höhe waren die Wände mit Spanplatten verkleidet, darüber blätterte die weiße Tünche ab. Ein schäbiger Tisch in der Mitte, über dem eine noch schäbigere Lampe mit rosa Schirm hing. Das Linoleum auf dem Boden war durchgetreten, und der Betonestrich schimmerte durch.
Sofort fiel d’Aventura der Aschenbecher auf und der aufsteigende Rauch einer heruntergebrannten Zigarette. Jemand musste sich in der Wohnung befinden. Er hielt den Atem an. Für eine Sekunde wunderte er sich, weshalb keine Reaktion erfolgte. Nicht der kleinste Laut drang an sein Ohr. Rechter Hand fiel ihm eine angelehnte Tür auf. Er blickte nach links. Eine zweite Tür, jedoch geschlossen. Welche Richtung er auch zuerst einschlagen würde, es könnte die letzte Entscheidung seines Lebens gewesen sein. Sprungbereit sah er sich um und überlegte fieberhaft.
Zerknüllte Kleidungsstücke und schmutzige Unterwäsche türmten
Weitere Kostenlose Bücher