Mala Vita
sich auf den Sitzflächen der billigen Stühle. Aufgerissene Briefkuverts, leere Bierdosen, Essensreste auf einem Teller und eine aufgeschlagene Zeitung offenbarten die bedrückende Atmosphäre einer verwahrlosten Dachwohnung. Drüben an der Wand sah er ein zerwühltes Matratzenlager, auf dem eine völlig verdreckte Decke lag. Es roch säuerlich im Zimmer.
D’Aventura richtete sich langsam auf und blieb in geduckter Haltung stehen. Was sich vor seinen Augen auftat, glich einer Müllhalde. Im Augenwinkel entdeckte er ein schwarzes Etwas auf dem Esstisch neben einem Topf mit den Resten eines Risottos. Sein Blick wanderte weiter. An der rechten Wand befand sich ein Regal und ein Schreibtisch. Darauf standen ein älteres Computermodell und ein Drucker. Daneben CD s und ein Headset. Mit äußerster Vorsicht schlich sich der Comandante an der rechten Wand entlang und näherte sich der angelehnten Tür. Seine Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Sein Fußtritt gegen die Holzfüllung ließ die Tür krachend gegen die Wand knallen, während er in der gleichen Sekunde bäuchlings liegend die Waffe in den Raum richtete.
Augenblicklich kämpfte er mit Brechreiz. Vor ihm auf dem Boden lag eine männliche Leiche, deren Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt war. Der Kopf lag in einem See rotschwarzen Blutes. Rings um ein Einschussloch an der Küchenwand hingen Blut und Fleischfetzen. Fliesen, Möbel und Fußboden waren über und über mit Blut bespritzt, als hätte ein Gemetzel stattgefunden. D’Aventura sprang auf, zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und hielt es sich vor Mund und Nase. Die Zigarette! Die andere Tür!, schoss es ihm durch den Kopf. Er wirbelte herum und näherte sich mit äußerster Vorsicht der gegenüberliegende Seite des Raumes. Neben dem Türstock presste er sich an die Wand. Die Kälte des Verputzes drang durch sein schweißnasses Hemd und ließ ihn frösteln. Sekundenlang hielt er den Atem an. Nichts regte sich hinter der Tür. Millimeterweise drückte er die Klinke herunter und riss die Tür auf.
Er holte tief Luft. Das Bad war leer. Mit dem Arm wischte er sich seine Stirn ab, dann kehrte er in die Küche zurück. Er beugte sich über den Mann, der unwirklich in sich verdreht auf der Seite lag. Angeekelt untersuchte er den Leichnam. Er legte seinen Handrücken auf das, was die Wange des Toten gewesen war. Das Opfer hatte noch normale Körperwärme. D’Aventura betrachtete eingehend die Eintrittswunde. Ein großkalibriges Geschoss war in den Hinterkopf eingedrungen und hatte dem Opfer beim Austritt das halbe Gesicht weggerissen. Der Mord musste vor wenigen Minuten passiert sein. Einen Schuss aber hatte der Comandante nicht gehört, weder unten auf der Straße noch, als er sich im Treppenhaus befand. Offensichtlich hatte der Mörder einen Schalldämpfer verwendet. Ob er sich noch im Haus aufhielt?
D’Aventura wusste nur zu gut, wie die Dinge in dieser Gegend liefen. Selbst wenn er den Kerl hier schnappen würde, bekäme er die üblichen Geschichten zu hören, wie man sie in allen Gerichtssälen, in der Questura und in den Gefängnissen zu hören bekam. Diese Typen, erwischte man sie mit einer Waffe, behaupteten durch die Bank, sie hätten die Knarre gerade gefunden: hinter einem Baum, in der Mülltonne, im Gebüsch oder – wie in diesem Fall – irgendwo im Treppenhaus. Auch wenn die Waffe frisch geölt war und eine Kugel im Lauf steckte, behaupteten sie stets, man habe keinen blassen Schimmer, wie man damit überhaupt umgehe und eigentlich sei man gerade im Begriff gewesen, sie bei den Carabinieri abzugeben.
Ihm fiel auf, dass die eine Hand des Toten zu einer Faust geballt war. Er ging in die Hocke und sah sich die Hand genau an. Zwischen den Fingern ragte das winzige Stück eines Papierfetzens heraus. Vorsichtig bog er Zeige- und Mittelfinger auf und zog den zerknüllten Zettel hervor. Hastig faltete er ihn auseinander. In krakeliger Schrift las er: »Fes …«, eine Zeile darunter: »das Schwe …« und in der nächsten Zeile: »…ft m … ner Frau«. Der Rest des Textes musste auf dem abgerissenen Teil stehen. »Merkwürdig«, murmelte der Comandante kaum hörbar. War das Wortfragment »Fes« der Anfang eines Namens? Er schüttelte ratlos den Kopf, faltete den Zettel wieder zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. Es war müßig, sich jetzt einen Reim darauf zu machen.
Dann trat er zurück und sah sich im Zimmer um. Das schwarze Etwas auf dem Tisch kam wieder in sein Blickfeld,
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