Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mala Vita

Mala Vita

Titel: Mala Vita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio M. Mancini
Vom Netzwerk:
die Kinder, Hunde und Katzen wälzten sich im Müll, Mäuse tanzten darauf. Hier war Palermo ein Beirut, zerstört durch einen mafiösen Krieg, der jetzt über vierzig Jahre dauerte.
    Nach einigen Minuten erreichte der Comandante ein Eckhaus. Eine gelbe Markise ragte weit über den Bürgersteig, unter der der Wirt seine Terrasse mit mannshohen Lorbeerbüschen umstellt hatte. Ein paar alte Männer saßen vor der Tür beim Espresso und verfolgten d’Aventura mit misstrauischen Blicken.
    Er bog in einen nachtschwarzen Häuserspalt ein, die Seitenstraße zur Via Albergheria. Dann stand er vor dem Hinterhaus mit den blinden Fensterhöhlen und bröckelnden, rußgeschwärzten Mauern, an der Stelle, wo Enrico Cardone ermordet worden war. D’Aventuras Augen gewöhnten sich nur allmählich an die Dunkelheit. Er zog ein letztes Mal an seinem Zigarettenstummel und schnippte ihn zur Seite. Dann schaltete er seine Stablampe ein und leuchtete den Ort des grausamen Geschehens ab. Eine ganze Weile verharrte er schweigend und nachdenklich. Er betrachtete eingehend die Stelle mit den noch sichtbaren Kreideumrissen, die die Lage des Opfers markierten.
    Ein merkwürdiges Gefühl erfasste ihn. Intuitiv drehte er sich um und ließ seine Blicke schweifen. Sein Instinkt hatte ihn gewarnt. Im gleichen Augenblick gellte ein Pfiff aus dem gegenüberliegenden Haus. D’Aventura sprang in zwei, drei schnellen Sätzen an die Hauswand und drückte sich in eine Nische. Ein kaum wahrnehmbares Geräusch drang an sein Ohr und schoss wie ein Elektrostoß durch seine Venen. Schnelle Schritte, die davonliefen. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er war beobachtet worden. Wie zufällig sah er nach oben. Im vierten Stockwerk der bejammernswerten Absteige sah er in einem der unbeleuchteten Fenster schemenhaft einen Kopf.
    D’Aventura richtete den starken Blendstrahl seiner Taschenlampe nach oben. Blitzartig verschwand das Schattenwesen. Er war sich sicher, dass er den Pfiff ausgelöst hatte, weil man jemanden vor ihm warnen wollte. Er musste schnell handeln. Durch seinen Kopf rasten tausend Warnungen. Der Eingang zu den Wohnungen lag auf der Rückseite des Hauses, und mit einer Schnelligkeit, die man dem Hünen niemals zugetraut hätte, sprintete er los, stolperte über einen querliegenden Müllsack und hatte alle Mühe, sein Gleichgewicht zu halten. Im letzten Moment gelang es ihm. Er hastete weiter und blieb unter der geöffneten Tür stehen. Tastend suchte er die Wand nach einem Lichtschalter ab. Stattdessen fühlte er nur lose Drähte, die aus einer zerstörten Verteilerdose ragten.
»Merda«,
fluchte er verhalten.
    Dem schmalen Lichtkegel seiner Taschenlampe folgend, eine Hand schützend über Mund und Nase, wand sich d’Aventura durch das dunkle Treppenhaus. Vorsichtig nahm er Stufe für Stufe, setzte den Fuß zwischen Pizzakartons, verstümmelte Barbiepuppen, Spritzen und zerbrochene Crackpfeifchen. Immer höher stieg er, vorbei an Graffitisymbolen rivalisierender Familienclans und einem zertrümmerten Feuerlöscherschrank. Im dritten Stock schlug ihm jäh ein Gestank entgegen, der jedem Menschen den Atem nehmen musste. In den üblichen Geruch von Urin und faulenden Essensresten mischten sich der Gestank von Kot und benutzten Windeln.
    D’Aventura leuchtete die nächsten Stufen aus und blieb stehen, als er zwischen Chipstüten, einer Programmzeitschrift und den Windeln die Augen einer Ratte im Lichtkegel aufblitzen sah.
»Porca miseria«,
fluchte er kaum hörbar und stampfte angewidert mit dem Fuß. Fluchtartig trippelte das Tier ins Dunkel. »Menschen sind schädlich, sagte die Ratte«, knurrte der Comandante und steuerte auf die nächste Etage zu. Er hatte sich die Lage des Fensters genau eingeprägt und wusste, in welcher Wohnung der Schatten verschwunden war. Er war sich sicher, in diesem Treppenhaus konnte niemand unbemerkt an ihm vorbeikommen. Damit er kein Ziel bot, schaltete er die Lampe aus. Mit gezogener Dienstwaffe tastete er sich weiter nach oben.
    Der Unbekannte, der ihn vom Fenster aus beobachtet hatte, schien die Gefahr erkannt zu haben, sonst hätte er nicht augenblicklich seinen Kopf wieder zurückgezogen. D’Aventuras Nerven waren bis zum Äußersten angespannt. Diffuse Geräusche drangen zu ihm, Geräusche, die er nicht einordnen und deren Herkunft er nicht feststellen konnte. Rührte das Knacken vor ihm von Menschen?
    Unter ihm wurde eine Tür zugeworfen, und er zuckte zusammen. Vorsichtig lehnte er sich über das

Weitere Kostenlose Bücher