Mala Vita
nachdenken. Werde dir lieber klar, was als Nächstes auf dich zukommt!«
Cardone erwiderte ernst: »Du hast recht, Carlo. Genau darüber denke ich gerade nach.«
»Der Briefträger war da, du hast Post aus Palermo.« Carlo reichte dem Freund das Kuvert. »Ich hoffe, nichts Schlimmes.«
Cardone nahm den Brief entgegen und schaute neugierig auf den Absender. »Comune di Palermo« stand auf dem Stempel. Er riss den Umschlag auf und faltete das Blatt auseinander. »
Madonna!
Sind die von allen guten Geistern verlassen?«, brüllte er durchs Zimmer. »Schau dir das an!« Er hielt Carlo das Schreiben hin. In seinen Augen standen Wut, Tränen und Ohnmacht.
»Was ist los?« Carlo nahm den Brief und las:
Comune di Palermo 17 . Agosto 2008
Il Regolamento di Conti
Anbei die Abrechnung
für eine behördlich angeordnete Beisetzung des
Signor Enrico Cardone
auf dem Cimiterio Bagheria der Comune di Palermo.
Euro: 2745 , 40
Bedauerlicherweise hat es einen Kommunikationsfehler gegeben, den wir nicht zu verantworten haben. Die Beisetzung wurde nach Freigabe des Leichnams von der Comune di Palermo angeordnet. Da davon ausgegangen wurde, dass es keine Anverwandten des Verblichenen gibt, wurde Enrico Cardone kremiert und die Urne in die Grabstelle 2267 verbracht.
Wir bedauern, dass wir erst jetzt vom Gericht informiert wurden, dass Sie, verehrter Signor Cardone, ein Verwandter zweiten Grades sind. Aus diesem Grunde sind Sie auch kostenpflichtig. Wir bitten um schnellste Regulierung des oben stehenden Betrages.
Comune di Palermo
In der Wohnung lastete eine bedrückende Stille.
[home]
Hinterhof der Hölle
D ’Aventura hatte bei der nervenaufreibenden Suche nach einem Parkplatz die verwahrlosten Elendsquartiere im Albergheria-Viertel zum zweiten Mal umrundet, bis er endlich eine Lücke fand. Der Stadtteil war das unumschränkte Herrschaftsgebiet der Mandamenti, der Bezirksbosse der Mafia. Er stellte seinen Alfa Romeo an der Ecke der Piazza Ballarò ab. Das verwirrende Altstadtlabyrinth mit seinen baufälligen Palazzi, Kirchen und Märkten war der ideale Nährboden jedweder krimineller Aktivitäten. Tagsüber war die Gegend bedrückendes und zugleich spannendes Ziel für Touristen, nachts dagegen ein Gebiet, das man besser vorsichtig und nicht allein durchstreifen sollte. Taschendiebe,
scippatori
– Handtaschenräuber – und andere kleine Ganoven fanden hier ein reiches Betätigungsfeld. D’Aventura verschloss seinen Wagen und tauchte in die basarartige Atmosphäre ein.
Bunte Markisen überspannten wie Zeltdächer die quirligen Gassen. Wie in einem farbenfrohen Souk waren die Straßenzüge mit Ständen und Geschäften gesäumt. Schon Goethe hatte auf seiner Reise nach Palermo voller Begeisterung dieses Ambiente beschrieben. Auf nichts trifft seine Beschreibung vom Duft der Märkte, von der Seele der Stadt und vom Geschrei der Händler besser zu, als auf Palermos ältesten Markt, den Mercato Ballarò.
D’Aventura überließ sich dem Strom der Fußgänger. In den Gassen, in denen unter einem schmalen Himmelsstreifen Wäsche trocknete, in denen die Luft von Essigdüften durchsäuert war und sich bejahrtes Weibervolk über die Köpfe der Passanten hinweg von Balkon zu Balkon das Tagesgeschehen zuschrie, spürte er den ungeheuren Lebensstrudel dieser Stadt, der alles zu verschlingen drohte. Er schlenderte an armseligen
bassi
vorbei, trüben Kellerwerkstätten, in denen vielköpfige Familien, vom Finanzamt unbemerkt oder geduldet, Textilien, Schuhe und Handtaschen nähten. Das Geflecht der schmalen Gassen und Hinterhöfe war erfüllt von vitalem Leben. Hier wohnten die Ärmsten der Armen. Der Comandante konnte sie im Vorbeigehen durch die offenen Parterrefenster oder Türen sehen, oft drei Generationen einer Familie, die in zwei kleinen Zimmern hausten mit nicht mehr als dem Farbdruck des Gekreuzigten an der Wand und ein paar heruntergekommenen Möbelstücken.
Hier im alten arabisch-jüdischen Viertel, zwischen Albergheria, Piazza Carmine und der Piazza Ballarò drängten sich Hunderte von Gemüseständen. Jeder Winkel, jede noch so kleine Nische, Kirchenportale, Ruinen, Treppenaufgänge und Hinterhöfe wurden als Verkaufsplatz genutzt. D’Aventura musste lächeln, als er die
abbanniata
hörte, konkurrierende Gesänge der Händler, die ihre Waren lautstark priesen; sie klangen wie eine Mischung aus den sizilianischen
cante storie
und den Rufen eines Muezzins.
Der Comandante ließ sich mit der Menschenmenge an den
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