Malchatun
kam ihm zunächst von seinen Lippen. Nach einem langen, qualvollen Schweigen erst flüsterte er:
»Von meinen Kindern und Kindeskindern sprach die Stimme.«
»Ist Dündar dein Kind?« stieß Malchatun zu.
»Er ist mein Bruder. Wenn aber Osman Karadschahissar nehmen sollte - wer sagt dir, o Törichte, daß Alaeddin es ihm ließe? Mir hat man es nicht gelassen. Und das Blut meines Stammes war umsonst geflossen.«
Malchatun sprang auf.
»Wer dir das sagt? Ich sage es dir! Alaeddin selbst sagt es dir!«
»Wie denn du?« staunte der Alte. »Und Alaeddin? Ist der Sultan hier?«
»Nicht er selbst, aber seine Schrift.« - Malchatun nahm den Berat aus ihrem Gewand und reichte ihn Osmans Vater. »Lies hier, Ertoghrul Suleimanoghlu: Wenn dein Sohn innerhalb eines Monats Karadschahissar erstürmt, so wird er Herr sein der Stadt und Bey der Grenze.«
»Wie leichtfertig du redest! Bey? Du sagtest Bey, Malchatun. Immer spielt ihr mit Worten. Achte auf deine Zunge.«
»Hier steht es«, wies sie ihm aber. »Hier der Namenszug des Sultans - nicht in Gold und nicht in Silber. Wie sollte das sein? Doch in Rot! Und hier ist es geschrieben: Bey der Grenze mit Fahne und Pauke.«
»- mit Fahne und Pauke . . .« Es überwältigte Ertoghrul. »Er wird haben, was mir nicht beschieden war . . .«
»Mißgönn es ihm nicht, denn du bist der Vater. Wir sind alle nur Werkzeuge in Allahs Hand. Willst du dich Gott widersetzen? Willst du noch behaupten, das Blut der Ertoghruler würde umsonst vor Karadschahissar fließen?«
»Was tat Osman, daß ihm der Sultan diese Schrift gab?« kränkte sich Ertoghrul immer noch.
»Nichts tat Osman. Alaeddin gab mir den Berat.«
»Dir?« weiteten sich Ertoghruls Augen.
»Ich ritt zum Sultan und vom Sultan zu dir. Nur gering ist
Alaeddins Gnade. Er glaubt nicht, daß Karadschahissar in einem Monat genommen sein wird.«
»Was heißt das: er glaubt es nicht? Der Sultan glaubt nicht? Was? Wie? Es wird genommen sein, sage ich dir!« brach es jetzt aus Ertoghrul, »und Karadschahissar wird meines Sohnes sein, und mein Sohn wird Bey der Grenze sein, und mein Stamm wird sein Stamm sein, der Stamm eines Fürsten, so wahr ich dem Tode sehr nahe bin! Glaubst du, Mädchen, ich überließe dir, einer Fremden und Neuverbundenen, mehr für die Ertoghruler zu tun, als ich selbst, nach dem sie sich nennen, getan, dessen Stimme sie mehr als sechzig Jahre im Frieden hörten und in der Schlacht? Wer ist Dündar? Wo ist Dündar, wenn ich mich im Diwan zeige zu Pferde? Verlasse mich jetzt, Frau meines Sohnes Osman, daß ich dir meine Scham nicht zeige, wenn ich mich erhebe.«
25
Eine ganze Weile dauerte bereits der Kampf zwischen Osman und Schermugan. Mit einer sehr bestimmten Absicht versuchte der Wesir, Malchatuns Gatten von der Nutzlosigkeit einer weiteren Belagerung von Karadschahissar zu überzeugen. Nichts weniger als ein Gottesurteil wollte er damit herbeiführen. Ahnungslos müsse Osman die Prüfung bestehen, oder Schermugan würde ihn beim ersten Anzeichen einer Schwäche fallenlassen.
»Man kann sich auch verrennen, mein Osman«, warnte er. »Es ist keine Schande für einen Krieger, einmal einen Schritt zurückzuweichen, und für einen Feldherrn schon gar nicht.«
»Es ist gewiß keine Schande«, gab Osman zu. »Nur muß man wissen, wo man zurückweichen darf und wo man beharren muß.«
»Man kann sich verrennen«, wiederholte die Exzellenz.
»Man muß es wissen«, blieb Osman bei seiner Antwort.
»Und Sie sind überzeugt, es zu wissen?«
»Ja, Exzellenz, ich weiß es.«
Als etwas Unerschütterliches, Endgültiges schien Ghundus dieses Ja seines Bruders im Zelt zu schweben. Immer hatte er Osman für klüger gehalten. So wie jetzt aber, in dieser festen Gelassenheit, hatte er ihn nie gesehen. War er dem andern bisher nicht allzu willig und auf eine etwas mürrische Art zugetan gewesen in diesem Augenblick bewunderte er ihn.
Auch Schermugan sah sich den Entschlossenen genau an. Aber wenn ihm das Fehlen jeglichen Auftrumpfens und Geprahles auch Eindruck gemacht hatte, so war er doch keineswegs wie Ghundus von der Endgültigkeit eines Entschlusses überzeugt, der für Osman weit eher Nichtsein als Sein bedeuten konnte. Hatte der Wesir also, ohne seine kühle Überlegenheit zu gebrauchen, vorerst nur ganz allgemein gewarnt, so verdichtete er nun seinen Angriff.
»Mein Osman«, hob er von neuem an, »rechnen wir. - Auf meinem Weg zu Ihnen sah ich eine Tagereise weit nur ausgeplünderte Höfe. Wovon wollen
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