Malchatun
aufmerksam machen können. - Ob Osman denn keinen
Mann zu schicken gehabt habe, hatte sich Alaeddin daraufhin erkundigt.
Die Antwort war kurz und bündig gewesen: Vor Karadschahissar sei kein Mann zu entbehren.
Hierauf hatte Alaeddin freilich nichts zu erwidern gewußt, und erst war eine Pause vieldeutigen Schweigens verstrichen, ehe er seine Hand, mehr bezwungen als willig, der Dame zum Kuß überlassen hatte.
Freilich habe Osman keinen besseren Unterhändler schicken können, dachte Schermugan, während er in der Erwartung von dessen Besuch unruhig in seinem Zelt auf und ab ging. Auch sei er nur Malchatuns wegen gekommen, um sich in eigener Person vom Stand der Angelegenheiten vor Karadschahissar zu überzeugen.
Und nun sei sie nicht da . . .? grübelte er.
Schermugan war kein gewöhnlicher Mensch, den die Ehren seines Amtes zu befriedigen vermochten, geschweige ein Wohlleben, dessen er auch in bescheideneren Verhältnissen hätte gewiß sein können. Dafür war er inbrünstig von der Möglichkeit des einen überzeugt, über Menschen und Menschheit Macht zu gewinnen, und diese Macht in seine eigene Hand zu bekommen, war Schermugans Besessenheit.
Keineswegs jedoch erblickte er im großen Eroberer diesen einen. Weniger als Treiber und mehr als Getriebener, gleichsam Geschleuderter erschien ihm der Eroberermensch auf die schaumgekrönte Woge geschleudert, die sich immer wieder, wenn ihre Zeit erfüllt sei, hebe und stets dem gleichen, nie erreichten Ziele zustrebe: dem ewigen Frieden der Völker.
Trotz ausgemordeter Städte sah er in einem Manne wie Dschingis den Friedensbringer, wie ja der tatarische Friede von der Wolga bis zu den Küsten Chinas in einer Vollkommenheit wie nie zuvor auf der Erde wirklich bestanden habe und zum I eil noch bestehe. Nur durch seine Begrenzung sei dieser Friede - so schier unermeßlich sich sein Bereich auch erstrecke ernstlich gefährdet, war Schermugans Meinung. Auf die Woge aber folge das Wellental, und nun sei man im Tal, im allertiefsten.
Fast nur noch dem Namen nach bestand freilich das große Reich des Dschingis, und zugleich mit ihm war auch das der persischen Ilkhane geschwächt. »Bruder der Sonne und des Basileus« hatten sich die alten Großkönige Persiens genannt. Was aber war übriggeblieben von dem so beispielhaften Reich der oströmischen Basileen gegen Abend und Morgen was von den überaus bescheidenen Ansätzen zu einem weströmischen Imperium der Ottonon und Hohenstaufen? Zersplitterung und das Emporkommen zahlloser kleiner und kleinster Tyrannen war dem Absinken der Großreiche oder wie Schermugan es ansah - dem Scheitern des tatarischen Weltfriedens gefolgt.
Doch auf das Tal müsse die neue Woge kommen, rechnete der Eunuch. Und da er die äußerste Tiefe erreicht glaubte, vermeinte er auch schon die ersten Anzeichen einer neuen Erhebung zu spüren. Sich selbst aber hielt er für einen zu großen Rechner, um als Geschleuderter ungelenkten Kräften zu dienen. Seine Süchte zielten nicht nach der Rolle eines Dschingis, sondern nach der von dessen chinesischem Minister, der arm gestorben wie er gelebt, die ungefügen Blöcke, von Dschingis gehäuft, erst zum Bau gefügt und dem Bau die Ordnung eingehaucht habe. So aufrichtig Schermugans Religiosität auch war, so wurzelte sie doch im Politischen. Hätte er an eine Erneuerung und eine Verjüngung von Byzanz zu glauben vermocht, so wäre er Christ geblieben.
Schermugan glaubte nicht an Byzanz und ebensowenig an die Mongolen des Dschingis, die ihre Kräfte nach seiner Meinung in Bruderkriegen schon verausgabt hatten. Er hoffte auf die Söhne Seldschuks und mehr noch auf deren Verwandte, turkmanische und türkische Hirten, die den Völkerstürmen jeweils ausgewichen waren und sich niemals geistig unterworfen, sondern in ihren einfachen Verhältnissen jung erhalten hatten.
Diese Gedanken leiteten Schermugan beim Größten wie beim Kleinsten, und innerhalb seiner unmittelbaren Aufgaben war die Ordnung der Grenze keineswegs das Allerkleinste.
Nach dem Besuch des Salmenikos in Konia war Schermugan bei Alaeddin für Osman eingetreten. Jetzt ging es um eine letzte Überprüfung. Schermugan mißtraute sogar sich selbst - sich selbst vor allem, weil nach seiner Überzeugung nichts so sehr der Kontrolle bedürfe wie das eigene Ich. Darum hatte er sich ernsthaft zu prüfen auferlegt, ob er nicht etwa aus religiösem Vorurteil den Mohammedaner Osman zum Schaden des Reiches dem Christen Salmenikos vorgezogen habe.
Auch
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