Malchatun
hatte sich Salmenikos in keiner Weise durch hochverräterische Verbindungen mit Byzanz kompromittiert, sondern beim letzten Feldzug wieder seiner Lehenspflicht durch Entsendung der vorgeschriebenen Anzahl von Reitern genügt. Für die Pforte lag nicht der geringste Grund vor, sich ihn nicht näher zu verbinden.
Osmans Streitkräfte dagegen waren bis auf einen kleinen Rest dahingeschwunden, und daß er sich dies Mißgeschick durch sein Eintreten für die Ziele der Pforte zugezogen hatte, änderte an den Tatsachen nichts. Schließlich durfte man auch sagen, Osman habe es ebenso für die eigenen Ziele getan.
In einem hatte Sultan Alaeddin jedenfalls recht: daß er Salmenikos nicht haben könne, wenn, er Osman unterstütze. Auf der einen Seite feste Burgen und Städte und ein Ansehen im Lande, das älter sei ah die seldschukische Herrschaft - auf der andern ein Fremdling ohne festen Stützpunkt mit nur noch geringem Gefolge. - Schermugan hatte das ganze Gewicht seiner Dienste und seiner Persönlichkeit ins Treffen führen müssen, um eine Aufopferung Osmans hinauszuzögern. Mit der Begründung, man müsse die Männer ansehen und nicht nur deren augenblickliche Lage, hatte Schermugan Malchatun unterstützt.
Gerade jetzt dachte er immer wieder an sie. Prachtvoll habe sie sich in der Unterredung mit Alaeddin geschlagen. Die Belagerung von Karadschahissar so gut wie zusammengebrochen, die Ertoghruler im Begriff, unter Dündars Einfluß zu geraten, nur Feinde und ohne einen Freund, der hätte helfen können — nicht das geringste von Osmans Unglück habe der Sultan ihr erspart. Aber von Malchatun sei der Hoheit zu bedenken gegeben worden, daß daraus nur zu ersehen sei, was ein erprobter Freund in der Not wert sein könne. Nur sich selbst stärke die Pforte, wenn sie Osman unterstütze. Wiederum sei das Wort gefallen - diesmal von Malchatun keinen Mann und kein Goldstück, aber ein sichtbares Zeichen großherrlicher Gunst, das sei alles, was Osman brauche. Und dann habe sie das fast wahnsinnige Begehren nach der Fürstenwürde für Osman Ertoghruloghlu vorgebracht.
Nach stundenlangem Ringen hatte sie wirklich den Berat erhalten, aber nur, weil der nach Alaeddins Vermeinen nicht den Wert des Papiers habe, auf den er geschrieben sei. Die Fürstenwürde - ja - freilich erst dann, wenn Osman Karadschahissar im nächsten Monat erobere. Mit seinen eigenen Kräften.
Wie Schermugan auch zu Osman und vor allem zu Malchatun stehen mochte, so war er doch darauf eingerichtet, seine Reise erforderlichenfalls nach Biledschik zum Salmenikos fortzusetzen. Es gab Augenblicke, in denen ihm sein Festhalten an Osman als der größte Fehler seines Lebens erschien. Allerdings machte gerade das ihn wieder bedenklich, weil er sich sagte, daß der Erfolg fast stets nur in unmittelbarer Nähe des Mißerfolges anzutreffen sei.
Die Fürstenwürde für den Bettler? überlegte er. Wenn nicht für den Bettler, so vielleicht für den Mann! antwortete er sich selbst. Das solle sich entscheiden, schloß Schermugan seine Gedanken ab - jetzt gleich! Er hatte Geräusch gehört, und nun hob sich der Vorhang.
Ganz tief eingesunken waren Ertoghruls Augen, und die Backenknochen standen steil heraus. Wie eine gebogene Klinge lag die Nase, von zwei scharfen Furchen begrenzt, inmitten. Alles war grau und gelb in weißes Haar gebettet, in Haupthaar und Bart. Unregelmäßige Atemzüge aus den halboffenen dünnen Lippen bewiesen Malchatun, daß der Greis bald erwachen würde.
Schon einige Male, wenn auch nicht sehr oft, hatte Malchatun bei andern Kranken dieses geheimnisvolle Absinken der Kräfte beobachtet, und sie wußte, daß solch ein Fall mit dem Eintritt von Schmerzen fast stets dem Ende zugehe. Es könne noch Wochen auf sich warten lassen; aber dann werde es kommen.
Auch in Sögüd hatte sich Ertoghrul sonst einer Jurte bedient wenigstens im Sommer. Jetzt war er in das innerste Gemach seines Winterhauses gekrochen, daß niemand sein Stöhnen hören möge. Auch Malchatun hatte er nicht vor sich gelassen. Doch den schmerzstillenden und einschläfernden Trank aus Belladonna und andern Säften, der ihm von ihr geschickt worden war, hatte er getrunken. Wenn er nun erwachte, würde die Medizin ihre Wirkung verloren haben. Schwierig war es gewesen, den neuen Trank zu bereiten. Gerade nur die schmerzenden Organe mußte er lähmen, das Gehirn dagegen zur höchsten Tätigkeit entflammen.
Malchatun hatte mit Ertoghrul zu reden. Auf jede Gefahr hin wollte sie einen
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