Malchatun
ersehen sei, ein huldvolles kaiserliches Schreiben mit den erhabenen Glückwünschen für Braut und Bräutigam zu überbringen oder - überbringen zu lassen. Das eben war noch die
Frage: die Einladung war gewiß — würde Osman in Person erscheinen oder sich nur durch seinen Sohn vielleicht oder einen seiner berühmten Alpe aus Ertoghruls Zeit vertreten lassen?
Nach dem Gesetz der Asanes konnte nicht Biledschik oder eine der andern Burgen der Schauplatz des Festes sein. Dazu war der Markt Tschakirbinari, Schmerlenbrunn, bestimmt, wo auch vor Jahren das Siegesfest zu Ehren Osmans gefeiert worden war.
Nach einer Zeit des Zweifelns, Hoffens und Abwartens stand es dann schließlich fest: Osman würde selber kommen.
Alle seine Leute sagten es, und auf allen Wegen erhoben sich graue Staubwolken von den Hammelherden, die der Bey als sein Hochzeitsgeschenk nach Tschakirbinari treiben ließ. Alle Welt pries seine Freigebigkeit und seine Höflichkeit. Denn auch in diesem Jahr hatte Osman es nicht unterlassen, den Herrn von Biledschik zu fragen, ob es wiederum bei der alten Abmachung bleibe und die Hirtenweiber während des Austriebs ihre Habe in Biledschik hinterlegen dürften. Daß die Stämme sich angelegen sein lassen würden, den Bedarf der Herrschaft an Erzeugnissen der Herden und an den begehrten selbstgeknüpften Teppichen zu bestreiten, wurde ebenfalls zugesagt. Ein Bedürfnis zu diesem Gesuch lag längst nicht mehr vor. Jedermann lobte daher auch die vornehme Bescheidenheit Osmans, mit der er durch Übung des alten Brauches freimütig an Zeiten erinnere, da die Macht seiner Familie eine weit geringere gewesen sei als heute.
Auch Kir Salmenikos faßte es so auf, und er wäre allgemeinem Tadel nicht entgangen, wenn er - woran er übrigens keinen Augenblick gedacht hatte - sich ablehnend verhalten hätte.
Ein Aufatmen ging bei all diesen Freundschaftsbezeigungen durch das Land. Osmans Gerechtigkeit war bekannt. Vor seinem Richter galt ein Christ soviel wie ein Moslem. Nun aber sollte dieser Rechtssatz allgemein anerkannt werden. Alle wollten sich in der Erkenntnis des einen einzigen Gottes ohne
Ansehen des Namens vereinigen und ihm durch Friedensliebe dienen und Duldsamkeit.
Unter diesen Umständen glich Kira Apollonias Heimreise nach Jarhissar einem Triumph. Von weither kamen Leute mit Geschenken und riefen, indes sie immergrüne Zweige schwenkten, Segenswünsche auf das Haupt der edlen Frau herab, die durch ihr Ausharren in Karadschahissar den Asanesschen Friedenswillen so sichtbar bekundet habe. Es waren zumeist kleine Leute, die das taten, es waren die Leute, die bei einem Ausbruch der Feindseligkeiten in jedem Fall verlieren mußten.
Daß Apollonias Weg über Jundhissar führte, damit sie von dort mit Kirina Nilufer die Reise nach Jarhissar fortsetzte, empfanden alle als eine Selbstverständlichkeit.
Außer Malchatun und einigen wenigen anderen, darunter auch Osman, ahnte niemand, mit welcher Bangnis Apollonia dem Zusammentreffen mit ihrer Tochter entgegensah.
In jenem Zimmer, dessen Fenster einen Blick auf die Straße nach Eskischehr gewährte, demselben, in dem Salmenikos einst den streitbaren Manuel abgefertigt hatte, fand auch die Aussprache zwischen Mutter und Tochter statt.
Sie waren allein. Nur eine Sklavin oder was sie sein mochte, ein Geschenk Malchatuns jedenfalls, wie Apollonia sagte, hockte im Winkel. Nilufer achtete ihrer nicht. Sie wußte, daß ein heißer Kampf entbrennen würde, und war nicht gesonnen, sich durch irgend etwas ablenken zu lassen. Möge das Mädchen bleiben, wenn es der Mutter so gefalle, dachte sie.
Natürlich begann Apollonia mit Vorwürfen über Nilufers unkindliches Entweichen nach Jundhissar, und daß die Tochter ihr nicht widersprach, beunruhigte sie bei ihrer reichen Erfahrung mit Nilufer nicht wenig. In Wirklichkeit war das Schweigen der jungen Dame auch weit von Zerknirschung entfernt. Es gelang ihr gerade noch, ein Lächeln zu unterdrücken. Allerdings war sie, Nilufer, es gewesen, die der Tante Malchatun eine Nachricht über Kir Michaels Botenreise hatte zukommen lassen können, und dem Verhalten der Mutter entnahm sie nur mit Befriedigung, daß Malchatun ihre Pflegeschwester nicht ins Vertrauen gezogen habe. Auf diese Weise fühlte die Kleine sich als Mittelpunkt von Geheimnissen, an denen Kira Apollonia nicht teilhabe, und damit der mütterlichen Autorität um vieles überlegen.
Nur eins trübte diese Genugtuung ein wenig: gar zu gern hätte sie den Inhalt
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