Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Malchatun

Titel: Malchatun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
Vom Netzwerk:
Perid nun alt, und eigentlich hätte sie bereits einen eigenen Mann haben sollen, einen gesetzten, der Theologie beflissenen Mann, wie ihr Vater selbst einer war. Was die Tochter zuwenig besaß, das hatte der Vater um so mehr, nämlich die Beflissenheit, den von Allah gewiesenen Weg zum eigenen Seelenheil und zum Nutzen seiner Mitmenschen zu wandeln. Es war ihm, obwohl er selbst schon die Würde eines Molla erlangt hatte, nicht zu gering gewesen, den großen Scheich Edebali aufzusuchen und sich zu dessen Füßen wieder unter die Schüler zu setzen. Nach dem Tode von Perids Mutter hatte er das getan. Mit den andern Schülern war er dann Edebali auf der Flucht nach Seraidschik gefolgt, und auch sonst schien er, was seine Tochter anlangte, in die Spuren des Meisters treten zu wollen. Was jedoch bei Edebali schon so lange gedauert hatte, daß aus Malchatuns Ehelosigkeit ein anerkannter Zustand geworden war, sah man dem Schüler keineswegs nach: die geringe Sorge, die er darin erkennen ließ, Perid ihrer natürlichen Bestimmung zuzuführen. Die Schüler kamen und gingen. Zwei von ihnen waren inzwischen fortgezogen, um die Ehren und Einkünfte eines Amtes zu übernehmen, ohne daß einer von ihnen, wie es doch nicht allzu ferne gelegen hätte, Perids Gatte geworden wäre.
    Malchatun konnte man diesen beklagenswerten Umstand gewiß nicht zum Vorwurf machen. Sie hatte die Blicke der Männer nicht von der kindlichen Freundin fort und auf sich gelenkt. Man glaubte zu wissen, daß Edebali, der Koreischite, sie dem Sohn seines Bruders bestimmt habe, und hielt es nicht für wahrscheinlich, daß der Scheich in eine Ehe seiner Tochter mit einem Manne weniger vornehmer Abstammung einwilligen könne, falls er sich darüber überhaupt noch irgendwelche Gedanken mache.
    Nicht ganz so überzeugt war Malchatun von ihres Vaters Teilnahmslosigkeit in bezug auf die kleine Perid, und nicht als Freiwerber für einen andern sah sie ihn. Daß alte Männer junge Frauen nahmen, war gerade in den Kreisen der Gelehrten nichts Seltenes, und nur ein wenig allein gelassen fühlte sie sich bei dem Gedanken an eine etwaige Ehe des Siebzigers mit dem Kind.
    Erst jetzt empfand sie, welche Sicherheit ihr der liebevoll belächelte väterliche Eifer stets gegeben hatte. Nichts fürchte Edebali so sehr, hatte sie gedacht, als ihre - Malchatuns -Gegenwart jemals entbehren zu müssen. Und nun sei etwas scheinbar Unerschütterliches, das ihr durch Jahre als kaum noch wahrgenommene Selbstverständlichkeit gegolten habe, ohne jede Warnung unsicher und schwankend geworden. Gerade jetzt, in diesem Augenblick, da sie des festen Grundes einer väterlichen, eifernden, ja selbst etwas lästigen Liebe so sehr bedurft hätte, fühlte sie diesen Grund unter ihren Füßen weichen.
    Im Verlust, wie sie war, versuchte sie sich zu überreden, daß sie vielleicht einen Blick, ein gelegentliches Wort falsch gedeutet habe, um sich dann jedoch tapfer der Erkenntnis zu beugen, kein Mensch dürfe einem anderen den Weg vertreten, nur weil ihm selbst, den seinen zu Ende zu gehen, nicht beschieden gewesen sei.
    Zum Schwersten für eine Frau überwand sich Malchatun: aus fremdem Schicksal die Hand zu nehmen.
    Ein Gefühl, als sei sie schon eine geraume Weile beobachtet worden, ließ Malchatun aufschrecken. Mit geöffneten Lidern lag Kir Michael da - aber jetzt, da sie ihm ihr Gesicht entgegenhob, verbarg er in einer Gebärde der Abwehr seine Augen hinter den Armen.
    Malchatun jedoch war ganz in der Stimmung, ihn zu seinem eigenen Heil in die nüchterne Wirklichkeit zu stoßen. Die Augen eines Kranken verstand sie zu deuten, und so wußte sie, daß es an der Zeit sei.
    »Ihr Engel des Herrn«, sagte sie, »wenn Sie den suchen -der ist nicht hier.«
    »Wo ist - er?«
    »Bei den Kühen vermutlich«, meinte Malchatun trocken. »Da ist er am liebsten, Ihr Engel. Übrigens ist dieser Kuhengel ein Mädchen namens Perid. Und ich hörte nie, daß Engel weiblich seien. Bei euch in Byzanz heißen die Verschnittenen Engel; aber was Eunuchen auch sein mögen - weiblich sind sie nicht. Mädchen sind niemals Engel«, schloß sie mit einer herben Weisheit ihre Belehrung, »merken Sie sich das, Kir Michael. Da ich selbst eines bin, muß ich das wissen.« Zögernd lockerte er seine Arme.
    »Eine Teufelin bin ich, soweit mir bewußt ist, deswegen doch nicht«, fuhr sie fort. »Ich tue Ihnen nichts - jedenfalls nicht mehr. Wenn Sie mich in jener Nacht angesprungen hätten, wäre es freilich einem von uns

Weitere Kostenlose Bücher