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Malchatun

Titel: Malchatun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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aus.
    Nun stand er und äugte sie, ehe er näher kam, mißtrauisch an. Denn dessen, was sie wohl tun würde, war er nie sicher. Nur daß die Hose, die wie eine große blaue Blume aussah und doch nichts zum Fressen war, seine Freundin Perid sei, war ihm bewußt. Um sich darüber im klaren zu sein, kannte er sie lange genug - Perid und die Hose. Keine Zeit hatte es im Leben des jungen Stieres gegeben, in der Perid nicht dagewesen wäre. Immer hatte er ein wenig Angst vor ihr gehabt und sehr viel Zuneigung. Angst und Zuneigung schienen sich geheimnisvoll zu bedingen. Denn vor allen andern Wesen war seine Scheu zusehends gewichen. Ihnen gegenüber empfand er weder Zuneigung noch gar Furcht, selbst gegen die ältesten Kühe zeigte er letzterzeit wenig Respekt, und gar die Knechte machten um ihn einen weiten Bogen. Zwei hatte er schon verletzt, und niemand wollte der dritte sein. Der Stier Zeus war lebensgefährlich.
    Selbstverständlich war es streng verboten, ihn loszuketten. Infolgedessen hatte Perid ihn natürlich befreit. Sie war immer der Meinung, das arme Tier müsse auch seine Freude haben und herumlaufen dürfen wie die anderen. Malchatun pflegte zu scherzen, Perid sei mehr um ihren Zeus als um Freunde und Verwandte besorgt, aber wenn das wie ein Tadel hätte klingen können, so hob ein Lächeln ihn wieder auf, weil Malchatun zugleich immer denken mußte, daß Freunde und Verwandte Perid nicht in dem Maße brauchten wie Zeus. Zweimal hatte
    das Mädchen ihm, als er geschlachtet werden sollte, das Leben gerettet, und vor dem Austrieb auf die Almen, wo er sich wahrscheinlich nur unbeliebt gemacht hätte, war er ebenfalls nur durch eine List von Perid bewahrt worden. Jedenfalls ließ sich an der Freundschaft der beiden nicht zweifeln.
    Als Zeus zur Welt gekommen war, hatte Perid sich gerade mal wieder in der Nähe herumgetrieben, und eher als am Euter der Mutter hatte er an ihrem Finger gesogen. So süß blöd und hilflos hatte das Bullenkalb ins Dasein geschaut, und diesem Anblick hatte Perid nicht widerstehen können. Aus Übermut hatte sie ihm den göttlichen Namen gegeben.
    Gewissensbisse über die Befreiung des jungen Unholds empfand sie also durchaus nicht, so sicher war sie seines Gehorsams. Er mochte noch so schnauben und mit dem Schweif um sich schlagen, als sei er bereits ein Herr über unzählige Kühe -wenn Perid ihn anschrie und ihn mit dem Stecken über Nacken und Flanken schlug, wurde er gleich ganz manierlich, nicht so sehr wegen des Steckens als wegen der unheimlichen Gewalten, die sie für ihn verkörperte. Er wußte sehr wohl, daß er kommen müsse, wenn sie ihn rief.
    Und jetzt rief sie ihn. Langsam näherte er sich, und dann leckte er, um sich ganz den Genuß ihrer Gegenwart zu verschaffen, mit seiner fleischigen Zunge ihre helleuchtende Hose, daß der Stoff hohe Falten schlug.
    Kreischend wehrte sich die strampelnde Perid und sprang auf.
    »Muh«, machte Zeus.
    »Tolpatsch!« rief Perid. »Du willst ein Gott sein, du? Keine Ahnung hast du von dem Stiergott und der Hanum auf dessen Rücken! Aber paß nur auf, mein Alter, wenn du Zeus bist, will ich deine Europa sein!«
    »Muuh!« empörte sich Zeus und wich entsetzt einige Schritte zur Seite.
    Für einen jungen und unerfahrenen Stier war es auch gar nicht so leicht, sich das, was ihm geschah, zu erklären. Eben .war Perid noch dagewesen und hatte in ihrer Art, die er ge-
    wohnt war, ihn mit Geräuschen gelockt. Mit einem Mal war sie weg, und nun fühlte er auf seinem Rücken ein Gewicht, nicht gerade schwer, aber etwas Ungewohntes und daher Gefährliches fühlte er. Doch da er Perids Stimme mit »Hoi!« und »Hott!« auch ferner vernahm, ihre Hacken und ihren Stecken bald als etwas Vertrautes erkannte, kam er schließlich doch dahinter, daß ihm kein Bündel Heu, sondern Perid auf den Rücken gefallen sei, und alles hätte ganz gut gehen und Perid den Stier in aller Ruhe zureiten können, wenn nicht aus den Büschen etwas Schillerndes, Klirrendes, Stampfendes, Lärmendes hervorgebrochen wäre, dieser fremde Pferdegeruch, dieser verhaßte Leder- und Männergeruch, und das Klirren haßte er noch mehr wegen der Erinnerung an die Kette, dazu das Blitzen spiegelnder Metalle, das Knallen der Peitschen -Zeus hätte ein Ochse sein müssen, und er war doch ein Stier!, wenn er das geduldig ertragen hätte.
    Er ertrug es nicht. Sein »Muh« geriet aus der Tiefe der dumpfbehaglichen in eine höhere Tonlage, sein Nacken bog, die Hörner senkten sich, und so

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