Malchatun
raste er, um es auszulöschen, allem abmahnenden Kreischen seiner Freundin Perid zum Trotz, auf das Störende, Feindliche los. Wo war Perid? Er sah sie nicht. Und er fühlte sie auch nicht mehr. Denn was bedeuteten schon die Hacken und der Stecken eines Mädchens für einen wild gewordenen Stier.
Es gab ein großes Lärmen. Aber zu fassen war der Feind nicht. Immer wieder waren die schlanken Pferdebeine auf einmal nicht mehr da. Sie wichen aus, entzogen sich der ungebrochenen Vernichtungswut. Immer unbefriedigender empfand der Stier die Lage, und es war zu furchten, daß er selbst Perid nicht mehr erkannt hätte, wenn sie ihm vor die Hörner gekommen wäre.
Das war der Augenblick, da Osman auf seinem Rappen gerade auf das Tier losritt, um dann nach einem kurzen Haken im Vorbeijagen Perid zu sich zu reißen. Eine Weile lag das strampelnde Mädchen quer über dem Pferdehals, ein Anblick, der nach überstandener Gefahr um so mehr und erst recht zur
Heiterkeit reizte, als die Gerettete, hochgekommen, den Hals ihres Retters umschlang.
Aus Angst handelte sie so. Osman jedoch wäre kein vollblütiger junger Mann gewesen, wenn er die jugendlichen Rundungen der Lenden übersehen und dann die Wärme des Mädchenleibes nicht verspürt hätte. Bis jetzt allerdings hatte der Zufall allein die Körper entflammt; aber eben die Unbefangenheit, die so gar nichts verbarg, ließ Mann und Mädchen in ihrer engen Umschlingung einem echten Liebespaar gleichen. Kein Wunder, daß ein Gelächter aufsprang. Denn jedermann sah, daß die beiden als einzige von dem Schauspiel, das sie boten, nichts ahnten. Alles lachte daher: Osmans Neffe Baichodscha, der junge Mohammed Tschendereli von Inöni, Osmans übermütige Alpe und alle, die mit ihm zu Besuch von Sögüd herübergekommen waren. - Nur zwei lachten nicht.
Auf das Geschrei waren Edebali und Malchatun aus dem Schloßhof gekommen und sahen nun die kleine Perid, fest an Osman geschmiegt, auf dem Rappen.
Malchatun war überzeugt, daß sie nur den unverkennbaren Unmut des Vaters als gute Tochter mit empfinde, und Unmut empfand sie . . . Auf wen?
Hetzend und schreiend tobten die Reiter davon - der Stier hinter ihnen her.
Aber Hetzjagd und Gelächter hatten auch Perid aufgescheucht. Sie wand sich los, hämmerte an Osmans Brust und lief, vom Pferd gesprungen, wie ein Schiff in den Hafen weinend zu Malchatun. Worüber weinend? Über Edebali, Malchatun, Osman oder . . . den Stier.
»Sie werden ihm was tun!« rief sie, »sie stechen ihn tot!«
Etwas verlegen stand Osman daneben und versuchte, sie zu trösten; aber Perid hörte gar nicht hin.
Worüber empfand Malchatun nun Unmut? War es noch immer der von ihr angenommene Kummer des Vaters, den sie mitfühlte, und um des Vaters willen Eifersucht auf Perid?
Aber Edebalis Worte boten eigentlich keinen Anlaß zur
Beunruhigung. In seiner Jugend hatte der Scheich auch im fernen Spanien auf der berühmten Hochschule von Cordova studiert, und in Andalusien hatte er einige Erfahrungen mit den Kampfstieren der Mauren gewinnen können. Nun erklärte er in aller Ruhe die Absicht von Osmans Gefährten, und deren Rückkehr bestätigte seine Worte. Wichtigtuerisch lärmend, verlangten sie Stricke, den Stier zu binden.
»Nichts werdet ihr!« fuhr Perid sie jedoch an. »Wenn ihr ihn nicht neckt und ihn bös macht, ist er wie ein Lamm. Wie ein ganz kleines Lämmchen ist mein Zeus«, schmeichelte sie zu Edebali hinauf, weil der doch alles könne und alles wisse.
»Du hättest ihn dennoch nicht von der Kette lösen sollen«, lächelte der große Mann milde.
Und nun erging es Perid wie dem Stier vor ihr selbst: Sie senkte den Kopf.
»Ich werde ihn holen, ehrwürdiger Vater«, sagte sie, »seid gewiß, er wird mir nichts tun.«
»Das glaube ich wohl«, meinte auch Edebali, »doch besser ist es, du gehst nicht allein.« - Die Burschen freilich, die sich anheischig machen wollten, dem Mädchen zu folgen, scheuchte sein Blick zurück. »Ich werde dich begleiten«, sagte er - worauf das Kind und der Greis einträchtig gingen, einen wilden Stier zu fangen.
Wenn der Gedanke an Osman in Malchatun auch nur Empfindungen der Abwehr auslöste, so hatte sie sich doch der Beobachtung nicht verschließen können, wie sehr sein Ansehen gewachsen sein müsse. Sein Gefolge sei jedenfalls größer als je zuvor. Der junge Tschendereli sei bei ihm, als könne er des Wunderns viel von Osman lernen. Und der Baichodscha fehle auch nicht, dieser Bengel mit der Stupsnase und den
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