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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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die Bücher im Regal stehen haben, die man entdecken kann, nach denen man aber nie verlangen würde. Das ist der Unterschied zwischen Wirtschaft und Kultur. Eigentlich müsste man Buchhandlungen subventionieren.«
    »So weit kommt’s noch! Also … jetzt, was darf’s sein?«
    »Maultaschen in der Brühe!«, antwortete ich. »Und das Buch, das dich in deiner Kindheit am meisten beeindruckt hat.«
    »Rostbraten«, sagte Richard.
    »Kommt sofort.« In der Tür drehte Sally sich dann doch noch mal um. Das Tablett gegen die Hüfte gestemmt, schaute sie uns sinnend an. »Wir Austins {11} .«
    »Was?«
    »Das habe ich mindestens fünfmal gelesen.«
    »Kenne ich nicht.«
    »Das ist auch nichts Besonderes, einfach die Geschichte einer Familie, einer amerikanischen, glaube ich, und das Mädchen kriegt eine Blinddarmentzündung, was man erst gar nicht richtig merkt, und als ich dann meine Blinddarmentzündung hatte, habe ich gleich gewusst, was es ist, und bin ins Krankenhaus.«
    »Siehst du, das Buch hat dir sogar das Leben gerettet.«
    »Das bestimmt nicht, aber … schon okay. Ihr habt recht. Irgendwas, was man gelesen hat, spukt einem immer im Kopf herum.« Damit verschwand sie im Lokal.
    Richard griff nach der Zigarettenschachtel. Ein Mann und eine Frau kamen die schmale Straße vom Schellenturm herab. Sie kibbelte knöchelgefährlich auf hohen Hacken über das Kopfsteinpflaster, er latschte mit nackten Knien in Shorts, aber Sneakers an den Füßen auf dem asphaltierten Fußweg, der zu schmal für beide war.
    »Warum tragen Männer eigentlich so ungern Sandalen?«, fragte ich.
    »Vielleicht, weil sie keine haben.«
    »Aber sie könnten sich welche kaufen!«
    »Für die vierzehn Tage Sommer? Das lohnt sich doch nicht!«
    Eine durchaus umfassend zufriedenstellende Antwort.
    Richard zündete sich die Zigarette an. Ich zog mir eine aus seiner Schachtel. Cipión schnüffelte in der Parkanla ge schräg gegenüber. Im Gebüsch war nur ein Hinterteil mit wackelnder Rute sichtbar. Ich streckte die Beine aus und genoss die mir wenig vertraute innere Ruhe nach einem fleißigen Tag. Für eine Fahrt nach Tübingen hatte es zwar nicht mehr gereicht, weil ich nach zwei im Kampf gegen Buchläuse verbrachten Nächten erst gegen Mittag aufgewacht war, dafür aber war ich mit meinem Bericht gut vorangekommen – die Geschichte von Richards Affäre mit einem Buch und Marie Küfer hatte ich in einer gesonderten Datei angelegt. Außerdem hatte ich die Film- und Tonaufnahmen gesichtet und sämtliche Personen, die sich gestern um Lola und mich herum aufgehalten hatten, herauskopiert und in einem Ordner gespeichert. Dann hatte Lola mich angerufen und mir erklärt, Nino wolle mir etwas mitteilen. Ich war ins Österfeldgewann gefahren und hatte mir glaubhaft versichern lassen, dass der Junge nirgendwo Feuer gelegt habe. Aber ihm sei aufgefallen, dass der Typ mit dem Knebelbart kurz vor Beginn der Lesung sich irgendwie an der Ladentür zu schaffen gemacht habe. Er, Nino, habe es gesehen, als er schon ziemlich weit die Treppe hinuntergegangen sei.
    Daraufhin war ich mit Cipión im Korb am Lenker ins Gerberviertel hinterm Tagblattturm geradelt. Der Nesenbach, der hier einst den Gerbern erlaubt hatte, ihrer stinkenden Tätigkeit nachzugehen, war schon lange in der Kanalisation verschwunden. Demnächst würde auch das Gerberviertel, umzingelt von Baustellen, untergehen. Die Buchhandlung Ursprung war nur schon mal vorausgegangen, das Under-Cover, das Café Eberhard, Boots by Boots, die Sichtbar, der Erlkönig würden folgen. Oder vielleicht auch nicht. Überraschungen waren schwer vorhersehbar. Noch kurvten Autofahrer auf der Suche nach Parkplätzen durchs Karree. Und die Gerberstraße hatte was von Paris, Seitenstraße: schmale Fußwege, schmale Straße, geschlossene Gründerzeitfassaden, kleine Läden für Randprodukte, ein Wettbüro, das Städtische Pfand leihhaus neben der privaten Pfandleihe, am Ende der Stra ße das Obdachlosenheim für Frauen, und ein gewisser Oskar Schlemmer war außerdem 1888 in der Gerber gasse 6A geboren worden, schräg gegenüber dem Haus mit der rußgeschwärzten Fassade.
    Cipión nieste entrüstet. Die geborstene Schaufensterscheibe von Durs Ursprungs Laden war mit Papier bedeckt, die Scheibe der Ladentür war ganz geblieben. An ihr klebte ein Polizeisiegel.
    »Hat ja so komme misse«, sprach mich ein Passant älteren Zuschnitts von der Seite an.
    »Was?«, fragte ich.
    Er maß mich und schaltete auf Zivildeutsch. »Die

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