Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
wieder da«, meldete sich der Mann vom Giftnotruf zurück. »Dann wollen wir mal.«
    Cipión war inzwischen zu Boden gesunken und schlief. Auch Senta hatte sich abgelegt. Die Katzen knif fen die Augen zusammen.
    Sally murmelte vor sich hin, das Telefon, das auf dem Tisch lag, murmelte ebenfalls.
    »Kürzen Sie auch?«, fragte der Mann.
    »Ja«, antwortete Sally und raufte sich die langen Locken. Ihr Finger blieb mit dem Ring in der Mähne hängen, aber sie schien es nicht zu merken. Mit der anderen Hand malte sie ein O aufs Blatt und zog zwei senkrechte Striche.
    Ich bewunderte sie hemmungslos. Dass Sally mehrstöckige chemische Formeln managen konnte, hatte ich bisher nicht gewusst.
    Unterhalb vom C zog sie einen Strich zu einem H und noch einen zu einem zweiten H. Währenddessen bekam sie den Finger mit dem Ring aus ihrem Haar frei, ohne sich Büschel auszureißen. Ich bewunderte auch Sallys souveräne Herrschaft über so viele und so lange Haare.
    »Sehen Sie das auch?«, meldete sich der Mann wieder.
    »Hmhm.«
    »So wie ich das sehe, haben Ihre Chemikalien mit La tex reagiert. Wissen Sie, was Sie da hergestellt haben?«
    »Formaldehyd.« Sally ließ sich gegen die Rückenleh ne fallen. »Da hätte ich auch selber drauf kommen können. Die Symptome sind eindeutig: Atemnot, Kopfschmerzen, Augenreizung.«
    »Keine Sorge, Lebensgefahr durch Lungenödem besteht erst ab einer Konzentration von 30 Milliliter pro Kubikmeter Luft. Aber Sie haben ja die Fenster offen.«
    Sally lachte haltlos. »Und ich habe mich noch gefreut, wie schön das Zeug die Matratze geätzt hat!«
    Der Mann irgendwo in Deutschland nachts um Viertel nach vier lachte auch. »Ich habe wirklich schon einiges gehört … Die meisten Formaldehydvergiftungen gibt es durch Methanol in alkoholischen Getränken. Methanol wandelt sich im Körper in Alkoholdehydrogenase, dann in Formaldehyd und letztlich in Ameisensäure um, die nur langsam verstoffwechselt wird und zu Azidose führen kann.«
    Sauerstoffmangel in Blut und Organen. So viel wusste ich als Freizeitkriminologin immerhin auch.
    »Formaldehyd selbst zerstört Netzhautproteine, was zur Erblindung führen kann. Wenn Sie also nicht blind werden wollen …«
    Sally schüttelte die goldenen Locken. »Was muss ich tun? Gibt es ein Gegenmittel?«
    »Ich rate Ihnen: Verbringen Sie den Rest der Nacht – viel ist es ja nicht mehr – auf der Couch im Wohnzimmer. Und gleich morgen besorgen Sie sich eine Folie, packen Ihre Matratze so luftdicht wiemöglich darin ein, verfrachten sie in ein Auto und bringen sie zu einer Annahmestelle für Sperrmüll.«
    »Aber ich habe sie gerade erst gekauft. Und sie war nicht billig.«
    »Nun, letztlich müssen Sie das entscheiden. Aber Formaldehyd ist krebserregend.«
    Sally bäumte sich noch einmal auf und schlug Ammoniak zur Neutralisation vor – Fluch über die Chemiker! –, aber auch davon riet der Mann am Gifttelefon ab. Sally sah es ein, und sie schieden als gute Freunde einer Nacht. Sie stellte das Telefon in den Halter zurück.
    »Ich hasse Bücher!«

 
     
16
     
    »›Ich habe gearbeitet und keinen Erfolg gehabt‹, das wa ren seine letzten Worte. ›Nun ist alles Asche. Aber ich würde es noch einmal so machen! Ich will zugrunde gehen mit der Idee, eine gute Buchhandlung zu haben.‹ Ungefähr so«, berichtete ich.
    Richard fuhr sich durchs dichte braune Haar und blickte gequält die Gasse hinunter. Durs Ursprungs Tod ging ihm so nahe, dass er mir sogar verraten hatte, dass Kollegin Meisner im Dezernat für Gewaltdelikte von »keine Spuren, nicht mal eine Patronenhülse« und einem »Phantom« gesprochen hatte, das »wir in Stuttgart gar nicht brauchen können«. Niemand habe einen Schützen gesehen, auch wenn sich Dutzende von Leuten auf den Aufruf der Polizei hin gemeldet hätten, nur um zu sagen, dass sie zur fraglichen Zeit auch nichts gesehen hatten. Man gehe insgesamt 600 Spuren nach.
    »Erinnerst du dich an den unbekannten Helfer?«, frag te ich. »Ein Mann, der mir geholfen hat, bei Ursprung den Verletzten aus dem Feuer zu schleppen? Du musst an ihm vorbeigelaufen sein, als du Ursprung aus dem Laden gezerrt hast.«
    Richard schüttelte den Kopf. »Mir ist niemand aufgefallen.«
    Wir saßen an einem von drei Bistrotischen auf dem Fußweg vor dem Tauben Spitz , dem Weinlokal im Bohnenviertel, in dem Sally freitags kellnerte. Es war erträglich kühl in der Gasse, die vom Schellenturm zum Breuninger-Parkhaus hinunterführte, denn sie war zu schmal und

Weitere Kostenlose Bücher