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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Lola! Wie weit würde ich gehen mit dir? Und warum gehen einem solche Szenen nicht mehr aus dem Kopf? Weil sie eklig-geil sind und meinen geheimsten Wünschen entsprechen oder weil sie mich schocken wie ein Unfall mit abgetrennten Köpfen, den man auch im mer wieder vor sich sieht?
    Wenn es mir zu mösig wurde, lenkte ich mich mit der völlig unergiebigen Suche nach der heutigen Identität von Marie Küfer ab. Das Mädchenklassenproblem. Man will nach zwanzig Jahren ein Klassentreffen veranstalten, aber alle haben geheiratet und heißen anders. Und die noch so heißen, will man gar nicht treffen, denn bei de nen muss Unglück herrschen. Das brachte mich immerhin auf die Idee, die Gymnasien von Tübingen nach den Ehemaligen zu durchsuchen. Ich erinnerte mich, dass jedes Jahr nach Ostern im Stuttgarter Anzeiger seitenweise Listen mit den Namen derer veröffentlicht wurden, die ihr Abitur bestanden hatten. Vermutlich war das auch in Tübingen in den sechziger Jahren üblich gewesen. Ich rief Karin Becker an, bedankte mich für das Kompendium über Buchbrände und legte ihr mein Ansinnen vor. Sie versprach, sich darum zu kümmern, und wenn sie in die Landesbibliothek müsse, um die alten Zeitungen auf Mikrofiche anzuschauen. Gute Seele.
    Ich fragte mich, was Mikrofische waren, Wikipedia gab Antwort: auf Filmmaterial verkleinerte Abbildungen. Eine vordigitale Form, ganze Zeitungsausgaben auf ein blattgroßes Negativ zu kriegen, das man in einem Apparat an Vergrößerungslinsen vorbeizog. Und neuerdings, erfuhr ich auf einer anderen Seite, waren die Fische wieder das Mittel der Wahl, um Wichtiges zu archivieren, weil sie ewig hielten und man sie ohne weiteren Schnickschnack auch mit einer Lupe lesen konnte, während digitale Archive alle zehn Jahre verloren gingen, weil sich Soft- und Hardware änderten. Das Buch war ja, wenn man es recht bedachte, auch kein so schlechtes Archivierungsmedium, kompakt und ohne weitere Hilfsmittel lesbar.
    Dann schaute ich, ob irgendein Gymnasium in Tübingen stolz auf eine heute prominente Person war. Da gab es einige, aber es offenbarte sich mir keines, das stolz darauf war, dass eine geborene Marie Küfer dort Abitur gemacht hatte.

 
     
19
     
    Im Gegensatz zu ihrem Vater war Lola vor dem Besuch des Spiegel -Reporters nicht im Mindesten nervös. »Was soll schon sein? Er fragt, ich antworte. Mir fällt schon was ein, was ihn total aus seinem Häuschen bringt. Die sind immer gleich aus dem Häuschen, wenn sie einem intelligenten jungen Mädchen begegnen. Als ob das an und für sich ein Wunder sei. In die Falle tappen sie alle. Weil sie nämlich eigentlich glauben, alle anderen sind Deppen und sie sind die einzigen Durchblicker.«
    Ungefähr so lief es dann.
    Der Mann war Mitte dreißig mit schlaffen Muskeln im Gesicht, baute auf dem Rauchglascouchtisch ein Mikro auf und zwang Lola neben sich aufs weiße Sofa, während der Fotograf seine Beleuchtung aufstellte.
    »Ich bin Wortesammlerin«, schäkerte Lola. »Ich sammle Worte, wo ich sie kriegen kann. Das Retromoderne fasziniert mich. Auch so ein Wort.«
    »Retromodern, kann man so also das literarische Programm von Lola Schrader beschreiben?«, fragte der Redakteur.
    »Für ein Programm bin ich zu jung, finden Sie nicht?«, sagte Lola mit Grübchenblick. »Korrekt ist: Ich sauge Wörter auf wie ein Staubsauger. Wörter tragen eine Geschichte in sich. Die versuche ich zu finden. Schreiben ist ja nicht Erzählen. Erzählen ist langweilig, es ist schon alles erzählt worden, da kann ich nichts Neues sagen. Schreiben ist im Grunde nichts anderes als Regieführen über Worte und Sätze. Ich muss ihnen gute Bedingungen schaffen, das ist meine Begabung. Bei mir kriegen sie Raum zur Entfaltung, so die Art, sie fangen an zu probieren, sie spielen, und wenn ich Glück habe, dann habe ich irgendwann eine gute Szene im Kasten.«
    »Gewissermaßen von der Mutter abgeguckt. Sie ist ja Schauspielerin. Hat sie Ihnen Tipps gegeben?«
    »Nein.«
    »Und der Vater, hilft der dabei?«
    An dieser Stelle überraschte Michel Schrader mit der Behauptung: »Natürlich habe ich meiner Tochter hier und dort … geholfen, ist zu viel gesagt. Ich habe mich eher als Geburtshelfer verstanden.«
    Peinlich! Lola lachte entschuldigend. »Mein Pappo ist mein größter Kritiker.« Es dauerte eine Weile, bis man die Entgleisung ins Gelände der Sentenzen wieder beho ben hatte und der Zug in Richtung Fräuleinwunder weiterrollte.
    Nach dem Abbau der Aufnahmetechnik machte der

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