Malefizkrott
mobbt, lacht länger. Mach Stress, dann weißt du, dass die andern Stress haben. Schrei herum, dann weißt du, dass die andern sich mies fühlen. Wer sich mies fühlt, weil du Stress machst, den hast du unter Kontrolle. Das ist das Geheimnis.«
Ein düsteres Geheimnis.
»Aber das sage ich jetzt nur dir. Die Leute würden mich nur für arrogant halten. Und das bin ich gar nicht. Ich fühle mich meistens ziemlich … klein.«
Der Heslacher Tunnel verschluckte uns. Ich überlegte, was Lola und ein Serientäter, der sein Opfer mit Gewalt unter Kontrolle brachte, damit er seinen Lustgewinn bekam, gemein hatten: kleines Selbstbewusstsein, soziales Abseits, emotionale Einsamkeit, kommunikative Misserfolge. Wer allein glücklicher ist als unter Menschen, ist entweder Serienkiller oder Schriftsteller. Aber das sagte ich nicht.
Ein bisschen bi schadet nie. Sex sells. Der Erfolg eines Buchs ist umgekehrt proportional zu seiner literarischen Qualität. Es ist der Schmerz, der mich ließ leiden, so tiefe Wunden in die Arme schneiden. Um diese vier komple xen Themen kreiste das Gespräch, das ich mit Lola führte, erst auf einem längeren Spaziergang mit Cipión, dann beim Ceylontee am zerratzten Bierkneipentisch in meinem Salon. Lolas Vater war ein gemeiner Mann, der mit seiner rhetorischen Gewalt und manipulativen Verachtung seine Tochter zu geistigen Höchstleistungen im intellektuellen Wettstreit angespornt und ihre Anlagen für freundschaftlich vertrauensvolle Beziehungen gestutzt hatte. Während Lola mit Klugheit, Zynismus, Selbstiro nie um ihre namenlose Trauer herumredete, fragte ich mich, ab wann ich vom intellektuellen Gedankenaustausch zum Zweck der Harmonisierung der Hormone zur praktischen Übung übergehen konnte, ohne Lolas Vertrauen zu zerscherbeln.
Ich zögerte.
Ihr Spiel mit mir ging ganz anders, als ich es bei unserer ersten Begegnung im Haus ihres Vaters gedacht hatte. Es ging ihr zuerst darum, meine Bewunderung für ihre »vernünftigen Ansichten« und ihre »geistige Reife« einzuheimsen. Da es mir erst spät in den Sinn kam, sie zu bewundern, kostete es sie viel Arbeit. Als ich dann sagte: »Du bist zu klug für dein Alter«, lächelte sie wie Pappos Prinzesschen. Und ich fühlte mich wie ein Papa, dessen Blick blind zu sein hatte für die biologische Reife der Krott. Die einzige Beziehungsstruktur, die sie beherrschte – und kontrollierte – war die der Tochter zum Vater.
So konnte das mit dem Sex natürlich nichts werden. Nein, es war kein Verführungsversuch gewesen, als sie mir mitteilte, sie sei weder hetero noch homo noch bi, sondern asexuell, es war eine Warnung: Komm mir nicht zu nahe! Ihr Buch prahlte zwar, ich kenne mich aus, mir kannst du nichts erzählen, aber sie selbst war im Kokon kindlicher Naivität geblieben. Und ich konnte mir nun nicht darüber schlüssig werden, ob sie von mir erwartete, dass ich ihr den Weg in die Kommunikation unter Erwachsenen zeigte, die aufeinander geil waren, oder ob sie einmal mehr Bestätigung ihrer gewaltigen intellektuellen Kraft suchte, niedere Begierden klein zu halten. War sie sich dessen überhaupt bewusst?
»Lust ist vorübergehender Kontrollverlust in einer Atmosphäre des Vertrauens«, sagte ich, als sie zu ihrem Sicherheitsthema, dem Schreiben, zurückkehrte. »Du weißt ja, vor einer Sado-Maso-Session wird ein Stopp- Wort ausgemacht, und der Sub muss sich darauf verlas sen können, dass der Top sich daran hält, sonst wird es nix.«
Zum ersten Mal sagte Lola dazu nichts.
»Ist dein Vater eigentlich Sub oder Top?«
»Mein Vater?« Alarm trat in ihre Augen.
»Du weißt doch, dass dein Vater sich gern mal in der Grenzstraße aufhält.«
»Pappo? Nein!« Sie lachte entrüstet. »Auf keinen Fall! Nein. Das wüsste ich, das hätte ich gemerkt. Pappo ist für mich ein offenes Buch. Absolut ausgeschlossen. Und ich möchte nicht, dass du so was behauptest. Wie kommst du überhaupt auf die Idee?«
Darauf antwortete ich wiederum nicht. Das war gemein, ich weiß – wer kein Argument kriegt, kann es nicht widerlegen –, aber sie hatte mich jetzt vier Stunden vollgetextet. Mir reichte es.
»Das war mir zwar im Grunde egal«, behauptete sie. »Aber mein Pappo ist so normal, dass man das Kotzen kriegen könnte. Wenn er mal abends weg ist, dann weil seine Studenten irgendeine Aufführung haben.«
»Wo ist eigentlich deine Mutter? Wieso habe ich sie noch nicht gesehen?«
»Sie ist am Set. Sie dreht in Rom. Irgendein Zweiteiler über Geld und
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