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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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könnte zu ihm kommen. Er ist tagsüber eh nicht da. Wieso?«
    »Mit siebzehn hätt ich meinem Vater nicht gegenübersitzen wollen. Allerdings war er da schon ein paar Jahre tot. Mein Vater hatte sich immer einen Sohn gewünscht.«
    »Ah, daher!«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte ich drohend.
    »Sorry. Ihr lehnt es ja ab, dass man eine Ursache dafür sucht. Was du bist, ist keine Krankheit oder Fehlentwicklung, ich weiß.
    Aber der Gedanke steckt halt so drin. Übrigens hätte mein Vater auch lieber einen Sohn gehabt, und ich bin nun gar nicht … hm …«
    Ich musste lachen. »Du bist trotzdem nicht so gewor den wie ich. Sondern ein richtiges Mädchen.«
    Lola zuckte mit den Achseln. »Was ist schon ein richtiges Mädchen?«
    »Das ist eine junge Frau, die alles daransetzt, im Wettstreit um die Jungs genauso geschminkt und gekleidet zu sein und sich so zu bewegen, zu reden, zu lachen und zu zicken wie alle andern Mädchen und sie dabei trotzdem aus dem Feld zu schlagen.«
    »Ohaaa! Und bei dir war das nicht so?«
    »Ich dachte, reiten können und keiner Prügelei aus dem Weg gehen sei das Richtige, um Jungs zu beeindru cken. Das ging gut, bis ich zwölf oder dreizehn war. Danach klappte es nicht mehr, und ich hab nicht durchschaut, warum.«
    Lola lachte. Ich auch.
    »Ich habe übrigens trotzdem einen Mann gefunden, sogar einen gut aussehenden und reichen. Leider hatte er eine ziemlich mörderische Familie und ist dann bei einem Autounfall ums Leben gekommen {17} . Ich saß neben ihm und habe überlebt. Also, frau findet immer einen Mann, wenn sie will.«
    »Wenn sie will!«, sagte Lola betont.
    »Willst du nicht?«
    »Keine Ahnung.«
    »Oha!«
    Ich schwenkte auf die Kaltentaler Abfahrt.
    »Wie merkt man, dass man … hm … lesbisch ist?«, fragte sie.
    Ich lachte sie aus. »Frag nicht so doof, Lola. Wenn du lesbisch wärst, wüsstest du das, du hättest dich schon mindestens einmal unsterblich in eine Klassenkameradin verliebt.«
    »Unsterblich verlieben klingt fett. Nein, habe ich nicht, aber in einen Jungen auch nicht. Vielleicht bin ich weder das eine noch das andere, sondern gar nichts, einfach asexuell.«
    »Schwer vorstellbar, wenn man dein Buch liest.«
    »Glaubst du, das hat mir Spaß gemacht? Glaubst du das etwa?« Sie schnaubte zornig. »Wenn du das glaubst, dann …«
    »He, reg dich ab! Woher soll ich wissen, wie man drauf sein muss, um so ein Buch zu schreiben. Irgendein Spaßfaktor muss doch dabei sein. Wenn man sich die ganze Mühe macht. Oder warum schreibst du?«
    »Weil ich muss. Sonst würd ich krepieren.«
    »Ah so! Woran denn?«
    Sie grinste verlegen. »Du stellst immer die Fragen, die ich nicht einfach beantworten kann. Ich weiß genau, ich würde es nicht aushalten ohne. Es ist eine Gegenwehr, verstehst du, gegen die große Dummheit, gegen die Frechheit und Bösartigkeit der Menschen, all das banale Gerede, die Sprüche, den ganzen Irrsinn. Da stirbt alle drei Sekunden auf der Welt ein Kind, schließt die Augen, haucht seine Seele aus, pfft, und wieder ist eine Zukunft verflogen, und meine Klassenkameradinnen jammern stundenlang, weil’s die eine Jeans in ihrer Größer nicht mehr gibt. Dann sage ich mir: Hör genau zu, das Sinnlo se ist sinnvoll, wenn du seine Sinnlosigkeit darstellen kannst.«
    »Deshalb schilderst du – wie soll ich es nennen – Perversionen?«
    »Nee, so einfach ist das nicht. Es gibt keine logische Beziehung. Das bedingt sich nicht gegenseitig, wie ich lebe und was ich schreibe. Ich schreibe nie über mich, aber auch nicht nicht über mich. Es geht … keine Ahnung … um die Haltung, zuhören, sammeln, es so organisieren, dass es sich entlarvt, verstehst du. Die Suche nach der Struktur im Irrsinn. Ich schaffe eine Ordnung, einen künstlerischen Wert. Und das befriedigt mich. Als Autorin bist du allmächtig. Du kannst jemanden sterben lassen. Und wenn du einem Arschloch wehtun willst, dann tust du das einfach. Du kannst ihn foltern, ihn zerstückeln, wenn dir danach ist. Und in der Welt, wo du dann bist, kann dir keiner was tun. Du kannst leiden und all das, aber du bist immer der Sieger, weil du das alles durchschaust. Das ist … cool. Das gefällt mir am Schreiben. Diese … hm … Macht, die man hat, ohne jemanden wirklich knechten zu müssen.«
    »Das klingt gut, ja!«
    »Im Grunde geht es darum, dass wir alles unter Kontrolle haben, damit uns keiner verletzt. Verstehst du? Das ist der Sinn all der Gemeinheiten, mit denen wir uns traktieren: Wer zuerst

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