Malefizkrott
lachte, bevor ich nachfragen konnte. »So nennen es die Setzer, wenn die letzte Zeile eines Absatzes allein oben auf einer neuen Seite zu stehen kommt. Das sieht unmöglich aus. Also lässt man diese Zeile als überzählige Zeile unten auf der vorhergehenden Seite stehen. Dann heißt es für mich als Lektorin oder für die Autorin: Wörter und Zeichen zählen und auf der Seite so viel Text kürzen, dass die Zeile hochrutscht.«
»Was, einfach so Text kürzen, nur aus optischen Gründen?« Ich staunte. »Aber die Autoren haben sich doch jedes Wort genau überlegt!« So hatte ich mir das Dichten nicht vorgestellt.
Manu lachte. »Bei Lyrik macht man das nicht, das kann ich Ihnen versichern. Aber bei einer Historiensaga von 500 Seiten kommt es auf das Dutzend Worte mehr oder weniger Gesums nicht an, glauben Sie mir.«
»Also bei mir macht Word das Layout.«
»Und wenn Ihr Word die Absatztrennung unterbindet, stehen eben auf mancher Seite nur 32 Zeilen, auf anderen 33. Bei einem gedruckten Buch sähe das ganz scheps aus. Apropos: Wann kommen Sie denn nun mal her und zeigen mir das famose Buch, von dem Sie mir erzählt haben?«
»Nächste Woche wird’s bestimmt. Jetzt hätte ich nur gern schnell schon mal gewusst, ob Sie sich erinnern, wo Marie Küfer und ihre Eltern gewohnt haben.«
»Nee, tut mir leid. Irgendwo am Neckar.«
»Sonst alles klar? Keine besonderen Vorkommnisse?«
»Alles bestens.«
21
Am 6. Juli meldeten die Nachrichten den Tod von Fritz Teufel, dem alten Kommunarden, Puddingattentäter und Stadtguerillero. Dann wurde die Fußball-WM eröffnet, alles kulturelle Leben erstarb. Politiker, Könige, Schauspielerinnen und die beiden Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten wurden nur noch nach ihrem Tipp für das jeweilige Spiel am Abend gefragt.
Zur Lesung in der Schubart-Buchhandlung in Ludwigsburg an dem Abend, an dem Deutschland sein Auftaktspiel mit 4 zu 0 gegen Australien gewann, strömte das Publikum über den Marktplatz in die Körnerstraße, und plötzlich waren es siebzig Leute, die sich in der Buchhandlung drängten. Die Damen schleppten aus den letzten Ecken die letzten Schemel herbei. Diesmal war Pappo Schrader wieder mit dabei, nicht hingegen Nino.
Ich war mit eigenem Wagen vorausgefahren, hatte In teresse an Krimis fingiert und mir, straßendurchschnittlich gekleidet und ausgestattet mit meinem Kamera- Equipment, die Örtlichkeit angeschaut, während die letz ten Kunden gingen und die Buchhändlerinnen den Tisch und Stühle aufbauten. Ich zog einen Krimi aus dem Regal und blätterte angelegentlich, klappte das Buch aber wieder zu und verließ verstört den Laden, nachdem ich eine Stelle gelesen hatte, in der zwei Gärtnerinnen eine Leiche fanden und dann am Ziegengehege ihre Vesperbrote verfütterten, bis eine Schönheit und ein Beau von der Mord kommission eintrafen und sie – die Gärtnerinnen – frag ten: »Wo, bitte, ist die Stelle?«, um dann höchstselbst eine erste Leichenschau vorzunehmen.
So konnte ich allerdings Lola und ihren Vater unauf fällig an der Ecke zum Marktplatz abfangen und ihr empfehlen, mit irgendeinem divenhaften Argument darauf hinzuwirken, dass der Tisch einen Meter weiter zurückgestellt wurde. Dann war er weder von der Tür noch von den Schaufenstern aus leicht einsehbar. »Und ich gehöre nicht zu Ihnen, Sie kennen mich nicht«, ermahnte ich die beiden.
»Ah, Sie sind Lola Schrader«, empfing sie die Ladeninhaberin. »Sie sehen Ihrem Foto doch ähnlich. Haben Sie gut hergefunden? Mit den Parkplätzen ist es hier immer schwierig. Wie viele heute kommen werden, wissen wir ja nun gar nicht. Als ich vor vier Wochen mit dem Verlag den Termin festgelegt habe, haben wir leider gar nicht an die WM gedacht. Aber nun schauen wir mal.«
Das war, bevor die Massen strömten, als alle noch ganz nervös waren.
»Ich habe gedacht, ein Tisch … Ist Ihnen das recht? Brauchen Sie sonst noch etwas, ein Mikrofon ist vorhanden, Wasser stellen wir noch hin. Was möchten Sie denn, Sprudel oder stilles Wasser? Stilles ist wohl geschickter, nicht?«
Lola erklärte mit gut gespielter Zickigkeit, dass sie lieber ein bisschen weiter hinten säße mit Wand im Rücken, sie sei da etwas eigen, den Tisch könne man doch sicher einen Meter weiter ans Bücherregal zurückschieben.
»Selbstverständlich, kein Problem.«
Man hätte es später sowieso tun müssen, weil man vorn noch zwei Stuhlreihen aufbauen musste.
Ich musste meine Nervosität nicht spielen,
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