Malefizkrott
Fußgängerzone ein, passierte den Eingang mit der Stufe, die es zu Magnus Villing hinterging, und scheuchte die Fußgänger auseinander, von denen ihm einige beim Sich-Umdrehen wie die Hühner direkt vor den Kühler liefen. Ich ging ihm entgegen und sagte den Beamten Hallo. Wir klärten in Frieden meine Beziehungen zu KHK Weininger, Oberstaatsanwältin Meisner und Oberstaatsanwalt Dr. Weber.
Wieder zu Hause schaute ich im Netz nach, wie weit Schießscheiben vom Schießstand entfernt standen – da gab es alles zwischen 300 und 25 Meter –, und grübelte. Würde ich auf Menschen ballern, solange ich im Schützenverein war? Sobald die Polizei an einem meiner Tatorte eine DNS-Spur fand, bat sie alle Sportschützen umliegender Schützenvereine zum Gentest und hatte mich. Dasselbe galt für eine Waffenbesitzkarte. Aber irgendwo musste er es gelernt und geübt haben. Vermutlich jedoch nicht in Stuttgart. Folglich suchten wir nach einem, der vor einiger Zeit noch woanders gelebt hatte. Ob es dir nun gefällt oder nicht, Finkbeiner!
Wenig später rief Karin Becker an und sagte mit gedämpftem Überschwang: »Also! Marie Küfer hat im Jahr 1964 am Uhland-Gymnasium in Tübingen Abitur gemacht. Der Vater war Oberpostdirektor und auch mal kurz Stadtrat und hieß Hermann Küfer. Er verstarb bereits Anfang der neunziger. Die Todesanzeige war gezeichnet von Elsbeth Küfer, der Ehefrau, und den Kindern Hansjörg und Marie.«
Das half mir im Moment zwar nicht wirklich weiter, aber das mochte ich ihr nicht sagen. Ich bedankte mich überschwänglich und wählte die Nummer von Thalestris. Eine Frau nahm ab, verschluckte ihren Namen und teilte mir mit, dass Manuela Kantor erst am Montag wieder im Geschäft sei. Nein, ihre Privatnummer könne sie mir nicht geben, das tue man grundsätzlich nicht, auch nicht ihre Handynummer, dafür werde ich sicher Verständnis haben. Gerne werde sie ihr einen Zettel hinterlegen, dass ich angerufen hätte.
»Es wäre aber wichtig«, sagte ich liebenswürdig. »Könnten Sie sie nicht anrufen oder ansimsen oder ihr eine E-Mail schicken, dass sie mich schnellstmöglich anrufen soll?«
»Ich bin nicht Manuelas Sekretärin«, antwortete die Frau.
»Sie benehmen sich aber wie ein bockige Sekretärin, die nicht Kaffee kochen will«, sagte ich sanft. »Versuchen Sie es doch mal als Geschäftsfrau.«
Ich erreichte Manuela dann über Facebook. Sie rief mich postwendend von zu Hause an, wo sie als freie Lektorin für einen großen Verlag in einer historisierenden Familiensaga die orthografischen, grammatischen und dramaturgischen Fehler anstrich. »Ein Graus! Die Autorin weiß schon auf Seite zwanzig nicht mehr, was sie auf Seite fünf geschrieben hat. Das passt alles nicht zusammen.«
»Und dann?«, fragte ich. »Was macht man nun?«
»Ich diskutiere mit ihr drei Stunden am Telefon. Sie kämpft wie eine Löwin um jedes falsche Komma und jedes Wort, sei es auch noch so blödsinnig. Das sei Absicht, sie habe sich das überlegt, sie sei ja nicht bescheuert, sie habe schon Bücher veröffentlicht, da hätte ich noch auf der Grundschule schreiben gelernt. Und wenn dann alles nichts hilft und sie einsehen muss, dass da was nicht stimmt, stöhnt sie und klagt mir ihr Leid als dreifa che Mutter und Ehefrau eines Mannes, der für ihr Hobby kein Verständnis habe. Und schließlich sagt sie: ›Ach, korrigieren Sie es einfach. Sie machen das schon!‹ Und ich darf für die gequirlte Scheiße schicke Formulierungen suchen, das Alter der Personen nachrechnen, die Verwandtschaftsverhältnisse geradebiegen und mir Gedanken machen, ob der Plot mit dem Erbrecht noch funktioniert, wenn es eine Cousine statt einer Enkelin ist. Natürlich sind nicht alle Autorinnen so. Aber es ärgert mich schon manchmal, wenn die erst groß herumtönen und dann alles mir überlassen, weil sie keine Lust haben, sich noch mal hinzusetzen und zu arbeiten. Die dumme kleine Lektorin wird’s schon richten. Aber sich später beim Verlag beschweren, die Figur sei entstellt und der Plot sie so völlig unsinnig geworden. Dabei kriegen sie die Fahnen und …«
»Deutschland, Frankreich, Spanien?«
Manu lachte. »Fahnen, so nennt man den Ausdruck auf losen Blättern, wenn die Buchseiten von den Setzern arrangiert worden sind. Der Autor sollte die Fahnen gründlich lesen, irgendwo steckt immer noch ein kleiner Fehler. Außerdem ist es seine letzte Chance, einzuschreiten. Und es ist auch besser, wenn er selbst die Hurenkinder beseitigt.« Manu
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