Malefizkrott
Leinenhosen, gestreiftem Hemd und Schultertasche verwickelte, als alle durch waren und die Damen die Stühle abbauten, Lola in ein Gespräch, das mit dem Satz begann »Jetzt muss ich Sie doch noch mal was fragen« und sich um Jugendsprache drehte, zu der er keine Frage hatte. »Da gibt es ja Lexika, von denen ich eines selbst zusammengestellt habe, es steht auch online, vielleicht kennen Sie es, aber ich nehme an, Sie befinden sich da direkt an der Quelle.«
Ein jüngerer rothaariger Mann mit reichlich Ringen in den Ohren stand währenddessen an einem Regal, blätter te in einem Buch und linste aus den Augenwinkeln zu Lola hinüber. Zwei Frauen warteten auf irgendwas und unterhielten sich über Haarfärbemittel. Der Rothaarige, dessen Haarfarbe Natur war, stellte das Buch zurück und ging, ohne Lola angesprochen zu haben, die immer noch von dem älteren Herrn mit Beschlag belegt wurde.
Die Buchhändlerin eilte verschwitzt herbei, was den Herrn in Leinenhosen endlich vertrieb. »Wir haben einen Tisch im Restaurant bestellt«, sagte die Buchhändlerin. »Nicht weit von hier, nur über den Platz. Ich weiß natürlich nicht, ob Sie … wie Ihr Zeitplan aussieht. Oder müssen Sie morgen früh raus?«
Schule, natürlich.
Ich zupfte das schmale Buch aus dem Regal, das der Rothaarige sich angeschaut hatte. »Mitten in der Leere das Lesepult«, las ich an der Stelle, an der es sich aufschlug. »In der ehemaligen Modeabteilung des Kaufhau ses Glück Auf, die sich karg und provisorisch präsentier te und gerade darum wie eine Metapher wirkte, stand nun das Lesepult.« Das Buch war grau und handelte vom 14. Kongress des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Medien vom 24. bis 27. April 1997 in Chemnitz. Du liebe Güte! »Listiges Dichten – Kolloquium in Chemnitz debattiert über DDR-Literatur. Neigung zu naiver Direktheit, große Präsenz sozialer Fragen, zivilisationskritischer Gestus, gelächterhaftes Unterwandern … Die subversive Funktion von Literatur zwang zu Mehrfachcodierungen.« {18}
Vorn drin klebte ein Zettel, auf dem stand: »Wer mich findet, lese mich oder lese mich nicht, aber lege mich so ab, dass andere mich finden.« Ich stellte es freundlich wieder zurück in das moderne Antiquariat mit Christa Wolf, Erich Loest, Anna Seghers, Bertolt Brecht, Peter Hacks und der Frage im Nachbild: »Gibt es an der DDR-Literatur irgendetwas Subversives?«
Ist Lola Schraders Malefizkrott subversiv? Codiert kommt es auf jeden Fall daher – bürsteln statt ficken, Ruffies für Rohypnolampullen zum Runterkommen. Unterwandert sie so unsere Zivilisationserrungenschaften wie Rücksichtnahme, Mitgefühl und Pazifismus und trägt Gewalt und Lustegoismus als Kultur codiert auf den Olymp des Feuilletons und der Bestsellerlisten? Oder treibt sie die Gewalt als Umgangsform ins Unerträgliche, damit uns die Gorillastruktur unseres Miteinanders bewusst werde: Dominanz und Kontrolle.
»Wie machen wir das mit dem Finanziellen?«, erkundigte sich Michel Schrader.
Die Buchhändlerin hatte den Umschlag schon in der Hand. »Wer quittiert mir das, Sie oder Ihre Tochter? Sie ist ja noch nicht volljährig.«
Lola hatte die Hand schon ausgestreckt und zog sie zurück. Michel Schrader nahm den Umschlag, zählte das Geld – 250 Euro – zog einen Kugelschreiber aus dem Sommersakko und schaute sich um. »Äh, wo?« Die Buchhändlerin dirigierte ihn zum Tisch mit der Kasse, wo er den Empfang auf einem Quittungsblock bestätigte. »Es muss ja alles eine Ordnung haben.« Gelächter.
Lola verließ abrupt den Laden.
Ich folgte ihr. Die beiden Frauen, die sich über Haarfärbemittel unterhalten hatten und jetzt draußen eine rauchten, strahlten Lola verlegen an. »Mir wisset den Weg zom Reschtaurant. Glei da nom.« Lola setzte sich in Marsch.
»Sollten wir nicht auf deinen Vater …?«
»Der wird uns finden, unweigerlich!«, antwortete sie genervt und verschwand um die Ecke.
Ich schaute mich um. Die Ladenschaufenster leuchteten einsam auf die Straße, drinnen liefen die Damen hin und her. Lolas Vater kam aus der Tür und mit langen Schritten, die Hand am Hosenstall, den Gehweg entlang. Schwache Blase.
Ich stellte mich ihm in den Weg und streckte die Hand aus. »200 plus 38 Euro Mehrwertsteuer plus 10 Euro Fahrtkosten.«
»Da kann ich Ihnen ja gleich den vollen Umschlag übergeben!«
Ich zog meinen Geldbeutel und reichte ihm 2 Euro Rückgeld.
»Behalten Sie’s als Trinkgeld. Wobei Sie die Fahrtkosten ja wohl sehr großzügig
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