Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
Vom Netzwerk:
Liebe«, sagte sie leise, ein letztes, endgültiges Bekenntnis, »und Hanno Feit war mehr wert als manch einer im braunen Hemd.«
    Stille rundherum, selbst Prokurist Heese hustete nicht mehr. Diese wahnwitzige Szene in der Schalterhalle. Büromöbel, Aktenreihen, Panzerschränke, Karteikästen und dazwischen Lottchen Lerche, eine Pyritzer Jeanne d’Arc mit ergrautem Pagenkopf, da stand sie und redete sich ins Verderben.
    Margot sah vom Fenster aus, wie Fräulein Lerche ins Auto geschoben und fortgebracht wurde. Sie verschwand für immer, unbekannt, wohin.
    An diesem Abend saß Anna Jarosch auf dem Sofa, schwarz und still. Margot rückte dicht an sie heran, zum ersten Mal wieder nach langer Zeit. Sie weinte, und endlich weinte sie nicht mehr um sich selbst.
    Der Sommer, der kam, war voller Unruhe. Wie ein Zug, schien es Margot, der schneller wird von Station zu Station, als ob es Verspätungen aufzuholen gilt, und sie am Fenster, unersättlich nach neuen Ausblicken. So schweigsam sie früher ihre Arbeit verrichtet hatte, jetzt suchte sie Gespräche am Kundenschalter, und mittags blieb sie manchmal in der Bank, nur um sich von der abenteuerlustigen Frau Rudnik aus der Registratur, deren Mann im Polenfeldzug gefallen war, ihre neuesten Eroberungen schildern zu lassen, mit allen Vorzügen und Nachteilen. Manchmal kam auch der Kassierer Lose dazu, ein verwachsener, träumerischer Mensch voller Fernweh, und erzählte von seinen imaginären Reisen, die er abends unternahm, zu Lande und zu Wasser, Bali, Fräulein Margot, Bali.
    Die Mädchen aus dem Lyzeum mied sie weiterhin, ging aber mit den Berufsschülerinnen, die wie sie kaufmännisches Rechnen, Buchführung und Maschinenschreiben lernten, zum Baden und ins Kino, sonnabends sogar ins Café Boese, wo es Kuchen auf Marken gab, ein Stehgeiger ungarische Weisen spielte von großer Traurigkeit und an den Marmortischen Soldaten aus dem Lazarett auf etwas Trost hofften, ein Umschlagplatz für mehr oder weniger vergängliche Gefühle. Frau Rudnik fand im Café Boese ihre wechselnden Abenteuer, manches Mädchen aus Margots Kreis jemanden, um den es bangen, eventuell auch weinen konnte, sogar überstürzte Trauungen kamen zustande in der allgemeinen Bedrängnis, die hier niemand wahrnehmen wollte. Margot spielte mit, aber keiner war ihr gut genug für eine Verabredung am Sonntag. Lieber nahm sie ihr Rad und fuhr aus der Stadt hinaus, Richtung Brietzig oder Raklitt, in die Ruhe des Weizackerkreises, dieses endlose, zum Horizont fließende Land, blaurot getupft die Kornfelder, grüne Wiesenmuster und dazwischen Dörfer mit Fachwerkhäusern, weißen Gänseherden und den Schlössern der Herren. Sie lag am Waldrand und spürte die Sonne auf der Haut, im Dölitzer Forst hörte sie den Habicht schreien, sonst Stille, wer war vor ihr hiergewesen, wer würde nach ihr kommen. Manchmal meinte sie, ganz allein mit der Erde im All zu kreisen.
    »Daß das Kind noch gar keinen Freund hat. So ein hübsches Mädchen und bald achtzehn. Muß doch wohl mal der Richtige kommen«, sagte Frau Dobbertin besorgt, während Anna Jarosch, geschlagen mit ihren Erfahrungen, einem solchen Ereignis eher skeptisch entgegensah, der Folgen wegen, jenes Juchhe und Ade, über das sie mit Margot gern gesprochen hätte. Aber Margots Art, sich abzuwenden, verbot solche Direktheiten, »ich weiß schon, Großmutter«, obwohl sie nichts wußte außer Fakten, und Fakten lösten die Fragen nicht, aber sie wollte eigene Antworten finden. Sie stand vor dem Spiegel, das war sie, Margot Jarosch, helle Augen, die Haare immer noch blond, nur kein Zopf mehr, sondern kurz jetzt, wellig von Natur aus, und Frau Dobbertin behauptete, sie habe einen Gang wie mit drei Bibeln auf dem Kopf. Sie strich über ihre Brust, über die Hüfte, weiße Haut, schnell braun im Sommer, der Bauch flach, fast nach innen gewölbt und darin angeblich die nächste Generation, so jedenfalls die Worte ihrer ehemaligen Biologielehrerin, ihr tragt die nächste Generation in euch. Margot legte die Stirn an den Spiegel. Wo waren die Antworten?
    Der Mann, der schließlich doch noch erschien in diesem Sommer, war, wie sich herausstellte, nicht der richtige, zumindest nicht im Dobbertinschen Sinne. Er kam und ging, Helmut Blumer, fünfundzwanzig. Sohn eines Kölner Professors für neuere Geschichte, zur Zeit Gefreiter bei der Infanterie und Insasse des Pyritzer Lazaretts. Margots erste Liebe, heftig von ihrer Seite, temperiert von seiner offenbar, ein temperierter

Weitere Kostenlose Bücher