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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Ufer des Madüsees war einsam und abgeschirmt an dieser Stelle. Margot hatte die Fahrt vorgeschlagen, das Rad für Helmut Blumer ausgeliehen, Tee in die Thermosflasche gefüllt, Brote bestrichen mit ihrer Leberwurstration. Der August ging dem Ende entgegen, ein Gesumm in der Luft, Enten streiften durch das Schilf, warum sie kein Abitur gemacht habe, wollte Helmut Blumer wissen. Margot lag auf dem Rücken, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Es roch nach warmem Moos, Moor und Holz, auch Pilze dazwischen und das süßliche Aroma der letzten Himbeeren, Sommergeruch, und sie begann ihr Leben auszubreiten vor ihm, Hedwig und der Vater ohne Gesicht, Doris Hoppe und Dobbertins Käsekeller und ihre Großmutter im ersten Stock mit dem Vertiko und der Wursterei, die Schule und die Bank und nie eine Freundin, weil es nach Käse roch und Blutwurst, der Alptraum ihrer Kindheit, ein Alptraum immer noch. Sie sprach, ohne ihn anzusehen, machte eine Pause, wollte weitersprechen, doch dazu kam sie nicht mehr.
    »Käse und Blutwurst«, sagte Helmut Blumer. »Großer Gott, Käse und Blutwurst.« Dann fing er an zu lachen, arglos sicher in seiner Belustigung, Margots Schuld, sie hatte die Geschichte zu gut erzählt, oder auch wieder nicht gut genug für einen wie ihn, der mit Tischgesprächen über Napoleon aufgewachsen war und dazu neigte, Widrigkeiten dem Gedächtnis zu entziehen. »Käse und Blutwurst«, sagte er, lachte immer noch, da fuhr sie schon davon, so verschwand er aus ihrem Leben. Sie hatte nicht gewußt, wie kurz ein Abschied sein konnte, auch nicht, daß der Schmerz wieder verging. Den Muschelzähler nannte sie Helmut Blumer in der Erinnerung, doch es roch nach Himbeeren dabei.
    Von nun an verlangsamte sich das Tempo des Sommers. Margots Vergnügen an Allerweltsgesprächen nahm ab, sie fing an zu lesen, wiederum zum Mißfallen von Anna Jarosch, die glaubte, daß zu viele Buchstaben die Augen schwächten und das Hirn verstopften, doch was vermochte sie gegen diese Enkelin. Bücher also statt Café Boese, auch Schopenhauer, dessen skeptischer Pessimismus, von Helmut Blumer beklagt, zum Gefährten ihres Lebenswillens werden sollte. Immer etwas tun, und immer zweifeln, wenn es getan war, ein schwieriges Gleichgewicht. Sie sei stark, meinte man in späteren Jahren oft. »Vielleicht«, sagte sie dann, »aber nur am Tag.«

    Die Kälte kam früh in diesem Jahr, ein schwieriger Winter, der schwierigste seit Kriegsbeginn, immer weniger Fleisch und die Feuerung so knapp, daß Anna Jarosch nur noch den Küchenherd richtig heizen konnte. In der Berufsschule wurde Margots Mantel gestohlen, ein Unglück, das sie schwerer traf als der Verlust Helmut Blumers, jedoch unerwartet gut endete. Frau Dobbertin nämlich, weil sie nicht mit ansehen konnte, wie Margot, nur Anna Jaroschs Tuch um die Schultern, in den eisigen Morgen hinauslief, opferte schließlich ihren schwarzen Diwanüberwurf, den Rosa Klingbeil zu einem neuen Mantel verarbeitete, auf Taille geschnitten, unten glockig, das graue Fell eines Bettvorlegers als Besatz und dazu die passende Kappe. Weit und breit fand sich nichts dergleichen, ein Stück wie im Frieden, sagte Frau Dobbertin, und Margot, wenn sie ihr Spiegelbild in den leeren Schaufenstern sah, meinte, es sei eine andere und alles müsse jetzt anders werden, irgend etwas müsse kommen, endlich, bald.
    Was schließlich kam, im Frühling, als der Mantel schon wieder im Schrank hing, war die Einberufung zum Arbeitsdienst, nach Welsleben nahe bei Magdeburg, ein Name, der Anna Jarosch aus der Fassung brachte. Magdeburg lag, wie sie aus den deutschen und auch den englischen Nachrichten wußte, im Zielgebiet der feindlichen Bomber auf ihren Flügen nach Berlin.
    »Geh zur Partei und sage, hast du alte kranke Großmutter«, beschwor sie Margot und war sogar bereit, sich die Beschwernisse in Gedärm und Kopf, von denen sie schon seit längerem gequält wurde, durch ein ärztliches Attest bestätigen zu lassen.
    Krankheit, kein Wort für Anna Jarosch ein Leben lang, trotz Acker und Waschküchen und den Geburten dazwischen, von Fehlgeburten gar nicht zu reden. Doch nun, mit vierundsiebzig, wurde der Magen, so ihre Diagnose, immer enger und das Gehirn locker, Symptome, die sie selbst behandelte, mit Brennessel- und Schafgarbentee, außerdem, wie in ihrem Dorf üblich, heiße Heusäcke aus allerlei Kräutern, auch etwas Kuhdung beigemengt. Im übrigen neigte sie dazu, die Leiden als gottgegeben hinzunehmen, auch das

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