Malenka
Schwindelgefühl, das beim Kartenschlagen nun häufig die starken Worte vernebelte, auf denen ihr Renommee ruhte. »Kannst du nicht machen Kalb aus alte Kuh, und ist Sterben nicht schlimm nach viel Leben«, tröstete sie Margot, wenn wieder die Koliken kamen.
Was Anna Jarosch dagegen mit wachsender Sorge erfüllte, war der Himmel, ihr Platz dort, den sie sich verscherzt hatte, dem nichtswürdigen Heinrich Jarosch zuliebe. Immer öfter sprach sie davon, die Angst vor dem Fegefeuer in den Augen, so daß Margot den katholischen Pfarrer aufsuchte, entschlossen, Gnade für ihre Großmutter zu erstreiten. Es war noch derselbe, dem Anna Jarosch achtzehn Jahre zuvor die Enkelin verweigert hatte, ein alter Mann jetzt ebenfalls, müde und mild. Von Streit keine Rede, er kam gleich mit, aller Ordnung seiner Kirche zuwider, vielleicht weil er meinte, eine solche Sünde wiege wenig gegen den Sündenberg dieser Zeit, nahm Anna Jarosch die Beichte ab und gab ihr sein Ego te absolvo. Pater peccavi, flüsterte sie weinend, und bald darauf, ein Wunder fast, besserten sich ihre Leiden, die Beschwerden zumindest. Sie fürchtete schon, daß der Arzt, dessen Attest Margot vor Magdeburg retten sollte, nichts mehr finden könnte, als sich der Gang zu ihm ohnehin erübrigte. Direktor Patschek nämlich schaltete sich ein.
»Sie sollen zum Chef kommen«, sagte der asthmatische Prokurist Heese, dem Margot ihre Einberufung vorgelegt hatte, atemlos. »Um Himmels willen, Sie haben doch nichts auf dem Kerbholz?«
Margots Hände begannen zu kleben. Kürzlich hatte sich Patschek, als er, wie es seine Art war, ganz unvermittelt neben ihr auftauchte, erkundigt, ob die polnische Kartenlegerin ihre Großmutter sei. Jude, Russe, Pole, die Reihenfolge der Untermenschen, darum ging es vermutlich. Patschek saß an seinem Schreibtisch, das Kinn auf die linke Hand gestützt, den leeren Ärmel in der Rocktasche, und lächelte ihr entgegen, dieses heiterspöttische Lächeln, das schon Lotte Lerche irregeführt hatte.
»Na, Fräulein Jarosch«, sagte er, »wollen Sie denn nun unbedingt beim Arbeitsdienst Kartoffeln buddeln?« Dann lachte er, komplizenhaft geradezu, als herrsche längst Einverständnis zwischen ihnen in dieser Frage, und sie suchte nach der Falle, die sich dahinter versteckte.
»Hübsche Mensch, Patschek«, hatte Anna Jarosch gesagt, »aber sind schlimmste Teufel, was haben keine Hörner.« Margot glaubte manchmal, daß in der Bank, mit Ausnahme des alten Heese vielleicht, sie als einzige noch Lotte Lerches Schatten hinter ihm sah. Ein scharfer Hund, hieß es zwar, aber schon nicht mehr ohne Anerkennung. Offenbar fand man Gefallen an seiner forschen Lässigkeit, mit der er das Arbeitstempo beschleunigte, und durchaus kollegial dabei, auch zu Scherzen bereit und das Wohl der Untergebenen im Auge, für die er sogar Vorteile herauszuschlagen verstand, eine Extralieferung Briketts etwa im letzten Winter, so daß niemand in der Bank zu frieren brauchte wie früher unter Direktor Wimheuer. Und nach einer der sogenannten Lagebesprechungen morgens vor Schalteröffnung, wenn er den Wehrmachtsbericht analysierte, stets mit dem Ergebnis, daß es sich bei den Rückzügen um strategische Maßnahmen handele, geniale Schachzüge des Führers, und die Angestellten aufforderte, in der Öffentlichkeit dies zu vertreten, hatte der Kassierer Lohse geradezu dankbar geseufzt, daß man sich hinterher doch gleich viel besser fühle.
Sie habe die Einberufung bekommen, sagte Margot. Welsleben bei Magdeburg, und im April...
Er könne lesen, unterbrach Patschek sie ungeduldig, und wissen wollte er, ob sie bereit sei, mit dem Arbeitsdienst zu warten und erst noch die Prüfung zu machen.
Sie schwieg überrascht, und er fuhr fort, daß es schade sei, so ein tüchtiges Mädchen, er könne durchsetzen, daß man sie wie eine Abiturientin behandele, ein halbes Lehrjahr weniger also und ihre Prüfung als Bankkaufmann schon im September, dann sei immer noch Zeit für die Kartoffeln. »Und wenn Sie wiederkommen, ist der Krieg vorbei, und Sie können sich mit voller Kraft einsetzen für den Aufbau des Reiches, hier oder anderswo, in ganz Europa brauchen wir fähige Leute.« Margots Achselhöhlen wurden naß, Schweißfäden, die herunterliefen, was sollte sie sagen.
»Haben Sie Angst vor mir?« fragte Patschek.
Sie hob den Kopf und begegnete seinen Augen, strahlend blau laut Frau Rudnik, die ihn anhimmelte.
»Nein. Warum?«
»Na, wirklich, warum denn.« Er lachte fröhlich
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