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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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verstreuten Fabrikationshallen und Munitionsbunkern, lag gute drei Kilometer vom Dorf entfernt.
    Anna Jarosch und Frau Dobbertin hatten Margot zum Zug begleitet, ein heißer Morgen wieder, Pommernsommer, als sie das Haus verließ in einem blau-gelb gestreiften Kleid, von Rosa Klingbeil aus zwei Küchenvorhängen gefertigt, über der Schulter die neue Umhängetasche und das Haar kurz geschnitten, kürzer als sonst. »Vornehm sieht sie aus«, befand Frau Dobbertin, »könnte direkt aus ’ner Villa stammen«, und Anna Jarosch, wie stets bei solchen Lobpreisungen, blickte mit zwiespältigen Gefühlen.
    Der schwere Koffer lag auf Dobbertins Handwagen, der seit Eröffnung des Ladens im Jahre 1907 dazu diente, die Waren vom Bahnhof abzuholen, ein vertrautes Geräusch, wie die eisenbeschlagenen Räder über das Pflaster der Kleinen Wollweberstraße ratterten. Anna Jarosch war vor Aufregung noch schwindliger als sonst, und trotz des frühen Aufbruchs kamen sie fast zu spät. Der Zug stand schon da, einsteigen, drängte der Schaffner, kaum Zeit zum Abschied. Margot lehnte aus dem Fenster, ein letztes Mal die Gestalt ihrer Großmutter, schwarz und unbeweglich, kleiner, immer kleiner, verschwunden, nur der Weizacker noch, Felder, Wiesen, Waldstücke, ein See.
    In Stettin wartete der Stralsunder D-Zug, mit dem sie bis Ducherow fahren mußte, dann über die Peenebrücke bis Dargen, und die restlichen Kilometer nach Mellenthin wären vermutlich zum Fußmarsch geworden, wenn Oberleutnant Wiethe, ihre Reisebekanntschaft, sie nicht im Wagen mitgenommen und zum Lager gebracht hätte.
    »Gottverlassen, dieses Nest«, stöhnte er, »und lassen Sie sich bloß nicht kleinkriegen von der Weiberriege.« Er winkte, sie winkte. Dann drehte sie sich um und ging durch das Tor, angekommen, um wieder abzufahren, Mellenthin auf Usedom, der Übergang zwischen gestern und morgen, sonst ohne Bedeutung, kaum daß sie den Ort später erwähnte. Was blieb, war der Waldweg vom Lager zum Arsenal, Buchen und Birken im Wechsel des Jahres, das Munitionsbüro, der Panzerschrank, auch die Küche im Schloß mit dem eisernen Herd, die Hände, die das Kaninchen aus der Pfanne rissen. Die Fabrikationshalle jedoch, in der sie Signalraketen zusammengeschraubt hatte, verblaßte, und Gesichter und Namen verschwanden fast alle. Selbst die Lagerführerin, eine vom Arbeitsdienst delegierte Franziska Zink aus Iserlohn, der nachgesagt wurde, daß sie die Butterrationen der Mädchen für Cremetorten verbrauche und bei nächtlichen Orgien auffräße, verlor die Konturen. Nur ihre roten Haare geisterten durch den Nebel.
    Franziska Zink, Fräulein Zink die offizielle Anrede, sah aus dem Fenster, als Margot sich bei ihr im Büro meldete, eins der großen Zimmer im Schloß, Stuck an der Decke, ein Wappen über der Flügeltür. Doch nun stand Franziska Zink am Fenster und sagte: »So, Sie sind die Jarosch? Wir haben Sie eigentlich später erwartet, aber wenn man sich einen anlacht, geht es ja schneller.«
    Die Frechheit der Mächtigen. Aber Margot kannte Fräulein Zinks Macht noch nicht. Sie hatte Pyritz, wo sie ausgewichen und weggelaufen war, hinter sich gelassen, und vielleicht lag es auch an Wiethe, daß sie Frechheiten nicht mehr hinnehmen wollte.
    »Ich habe mir noch nie jemanden angelacht«, erwiderte sie so ruhig, daß Anna Jarosch es schon hochmütig genannt hätte.
    Fräulein Zink fuhr herum. Ihr Gesicht war weiß, etwas schwammig, von Sommersprossen gefleckt, und sie sagte: »Hier haben Sie den Mund zu halten, verstanden?«
    Margot antwortete nicht.
    »Sagen Sie gefälligst jawohl, Fräulein Zink.«
    »Jawohl, Fräulein Zink«, sagte Margot, und wieder diese Ruhe, dazu die aufrechte Haltung, wie mit drei Bibeln auf dem Kopf, hatte Frau Dobbertin es genannt. Fräulein Zink dagegen fiel in den Schultern etwas ein, war auch schon dreißig und konnte überhaupt als unansehnlich gelten.
    »Ein bißchen hochnäsig?« fragte sie, die Augen zusammengekniffen, was auf Kurzsichtigkeit beruhte, ihr aber einen Schuß Tücke verlieh. »Hochnäsig?« wiederholte sie, und Margot hielt dem Blick stand, bis die Zink sich wieder zum Fenster drehte.
    Am folgenden Tag, als Margot von der Arbeit kam, wurde sie zum Küchendienst beordert, servieren, abwaschen, saubermachen, und am Sonnabend mußte sie in den Freistunden die Flure schrubben. Schikanen, schmerzhaft damals, doch nicht wichtig für die Erinnerung. Sie hatte trotzdem gewonnen, das haftete, Fräulein Zink dagegen verschwand wie

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