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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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und jungenhaft. »Was geht in Ihrem Kopf vor, Jungfrau Jarosch. So blond und immer so allein, seit Ihr Freund weg ist.«
    »Er ist nicht mein Freund«, sagte Margot gegen ihren Willen.
    »Um so besser, dann können Sie sich ja in Ruhe auf die Prüfung vorbereiten.« Er nickte ihr zu und griff nach einer Akte. Doch als sie sich umdrehte, war er plötzlich hinter ihr. Sie spürte seine Hand im Nacken, sanft und spielerisch glitten die Finger über ihre Haut. Bewegungslos stand sie da, ließ es geschehen für einen Moment, wollte, daß es weiterginge, riß sich los und rannte aus dem Zimmer, weinend vor Wut.
    Anna Jarosch, die von diesem Gespräch nur das Ergebnis zu hören bekam, versuchte in ihrer Freude sogar Patschek eine gute Seite abzugewinnen. »Tritt dich Teufel mit Huf«, sagte sie, »und fällst du in Butterfaß. Mach Prüfung, Malenka, und dann vielleicht Frieden.«
    Wunschgedanken, das eine wie das andere, wobei die Prüfung vor der Handelskammer Margots Blinddarm zum Opfer fiel, aus heiterem Himmel und mit Vehemenz. Zehn Tage nach dem Vorfall in Patscheks Büro mußte sie operiert werden. Beinahe ein Durchbruch, dann Bauchfellentzündung, Anna Jarosch, an Hanno Felts plötzliches Ende erinnert, geriet wieder in Panik. Das Fieber wollte nicht fallen, tagelanges Pendeln zwischen Bewußtsein, Traum und Tod. Der Tod steigt durchs Fenster, hatte Margot ihre Großmutter sagen hören, und dort saß er, weiß und grinsend, der Schädel aus dem Biologieunterricht, der Knochenmann aus dem Lied, und als die Krise kam in der Nacht, kämpfte Margot mit ihm. Sie lag in einem Saal, dreißig Betten, und irgendwo röchelte eine alte Frau, das wurde die Stimme des Todes, komm mit, flüsterte er, komm mit, nein, ich will nicht, geh weg, cholera psa krew, verdammter Tod. Sie riß sich los, als er über ihr lag, schlug ihm ins Gesicht, es splitterte, das war die Blumenvase auf dem Nachttisch, und dort, wo der Tod gesessen hatte, klebten zwei Leukoplaststreifen über einer gesprungenen Fensterscheibe, kreuzweise, wie die Knochen auf der Salzsäureflasche, mit deren Inhalt Anna Jarosch Ausguß und Klosett reinigte. Ärzte standen um das Bett herum, eine Schwester wischte ihr den Schweiß ab, hinten im Saal röchelte die Frau.
    Fast zwei Monate Krankenhaus, drei Wochen Genesungsurlaub. Und kein Arbeitsdienst mehr nach der schweren Operation, sondern Kriegshilfsdienst im Marinearsenal Mellenthin auf Usedom, wo, so wußte Emil Dobbertin zu berichten, Munition produziert und gelagert wurde.
    »Kriegshilfe! Ist Verbrechen!« rief Anna Jarosch, als die Einberufung auf dem Tisch lag. »Willst du helfen für Hitlerkrieg? Daß noch mehr tot und kaputt? Verbiete ich dir.« Sie preßte die Hände gegen den Leib, in dem sich eine Kolik anzukündigen schien, und Margot fragte, was sie denn tun solle. Sich verstecken? Wo denn? Man konnte sich nicht verstecken vor dem Krieg.
    »Soll ich mir die Hände abhacken?« fragte sie, worauf Anna Jarosch in Schweigen gefallen war und mehrere Stunden brauchte, bis sie eine Antwort fand.
    »Gibt Spruch«, sagte sie, »wo ich Brot esse, muß ich Lied singen. Sollst du später in dein Leben singen gute Lied, Malenka, anständige Lied, und mußt nicht rot werden im Gesicht mit Scham.«
    Danach hatte sie noch längere Zeit stumm dagesessen, den Rosenkranz zwischen den Fingern, wer weiß, was sie dachte, womit sie abrechnete, worin sie sich zu fugen suchte. Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’. Usedom bot mancherlei Vorteile, nicht zu weit entfernt von Pyritz und immer noch Pommern, kannst du laufen zu Fuß nach Hause, wenn Krieg vorbei. Überhaupt schien sich alles zu regeln, selbst die Ersparnisse durften, da der Staat Ersatz für den Lohn der Enkelin leistete, unter dem Dielenbrett liegenbleiben. »Und wir«, sagte Frau Dobbertin, »sorgen schon für die Großmutter, wenn’s nottut, was sonst wohl, nach so vielen Jahren.«
    Die Wochen vor der Abreise vergingen schnell, freie Wochen, denn die Kreisbank war geschlossen worden. Es gab noch die Sparkasse, das mußte genügen in Zeiten wie diesen. Patschek habe man nach Stettin versetzt, erzählte der ehemalige Prokurist Heese, den Margot Ende Juni traf, am Tag, ehe sie Pyritz verließ, blaß noch, sehr dünn, aber auch innerlich leicht und ausgefiebert, nun konnte das Neue kommen, was immer es war. Sie hatte viel Zeit gehabt in diesem Sommer, zum Lesen, auch für Träume, die jedoch anders waren als früher, diffus und ziellos in der Enge des Krieges, wo

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