Malenka
erhielt Margot ein Telegramm mit der Nachricht, daß Anna Jarosch gestorben war.
Sie fand es auf ihrem Bett, als sie abends aus dem Arsenal zurückkam, müde von dem langen Tag. Vierzig Minuten Weg morgens und abends und dazwischen acht eintönige Arbeitsstunden. Immer wieder die gleichen Griffe: die Hülsen einer Signalrakete nehmen, Pulver einfüllen, zusammenschrauben, weglegen, die nächste. Und immer die gleichen Reden dazu, Männer und Essen. Worüber sonst auch sollten sie reden, lauter Mädchen um die zwanzig, Arbeiterinnen zumeist aus dem Ruhrgebiet, mit Verlobten, Freunden, Erfahrungen und nun so lange schon im Lager kaserniert.
Margot war auch an diesem Abend wieder mit Liesbeth Domalla ins Lager zurückgegangen, Liesbeth Domalla, die bei der Arbeit und beim Essen neben ihr saß und überhaupt allgegenwärtig schien. Sie stammte aus dem Berliner Wedding, ’ne Proletin vonne Ackerstraße, ihren eigenen Worten nach, und war vor dem Arbeits- und Kriegshilfsdienst Küchenmädchen in einem Hotel gewesen, Kochhilfe vielmehr, darauf legte sie Gewicht, mit dem Platz am Herd, wo es jedoch zuletzt nur noch wenig zu kochen gegeben hatte. Fischsuppe höchstens, wie sie angewidert berichtete, aus einer sogenannten Heringspaste undefinierbarer Herkunft, oder Bouletten, die statt Fleisch durchgedrehtes Geschlinge enthielten. »Schmeckt nach ollen Hund«, sagte sie, »aber von nüscht kommt nüscht«, ein Ausdruck, den sie mit Vorliebe gebrauchte.
Liesbeth Domalla gehörte zu den fünf Mädchen, mit denen Margot die Stube teilte, Stube Nummer zwölf in Baracke Nummer zwei, weißgekalkte Wände, drei doppelstöckige Betten, ein schmaler Spind und ein Hocker für jede, mehr nicht. Sie war die älteste von zahlreichen Geschwistern, groß, starkknochig, mit breitem, verpickeltem Gesicht und fettigem Haar, aber von einer robusten, ihr überall im Lager Respekt verschaffenden Selbstverständlichkeit, die Margot bereits am ersten Tag zugute kam. Nach ihrer verfrühten Ankunft nämlich,, als sie allein vor den sechs Betten stand, eins wie das andere mit den karierten, strammgezogenen Bezügen, hatte sie sich einfach auf das erste beste gelegt, eine Tabuverletzung im Lager, wo es sonst kaum persönlichen Besitz gab, die nach der Rückkehr der Mädchen fast zur Hysterie führte. »Mein Bett!« schrie die Besitzerin, auch sonst war Feindseligkeit rundherum, bis Liesbeth Domalla erschien, in ihrer Kittelschürze, das Haar am Hinterkopf mit einem Schnürsenkel zusammengebunden. »Wat denn«, sagte sie, »hat se etwa uffe Decke jepinkelt?« Dann wies sie auf das freie Bett, fragte nach Margots Namen, stellte sich und die anderen Mädchen vor, und alle gingen versöhnt zum Essen in den sogenannten Speisesaal - »Speise is jut«, sagte Liesbeth - drüben im Schloß, wo man zwischen einigen Salons die Wände herausgebrochen und lange Tische aufgestellt hatte. Es gab Graupenbrei mit ein paar Backpflaumen drin und zuviel Saccharin, Lagerpampe nannte Liesbeth Domalla dieses aschfarbene Gericht, riet Margot jedoch, trotzdem ihre Portion herunterzuschlucken, denn die in der Küche machten aus allem Pampe, und sie wolle ja wohl nicht noch mehr vom Fleische fallen. »Nu mal ran anne Buletten, von nüscht kommt nüscht, und lieber schlecht jejessen als jut vahungert.«
So hatte es begonnen, so sollte es bleiben mit Liesbeth Domalla, die fortan ihre großen, kräftigen Hände über Margot hielt: morgens, wenn sie noch schnell die Bettdecke glattzog, bevor Fräulein Zinks Kontrollauge Falten entdecken konnte; während der Arbeit, wenn Margots ungeübte Finger nicht schnell genug die Raketen verschraubten, so daß der Hallenmeister drohte, sie zur Putzkolonne zu schicken; beim Umgang mit den Mädchen a us dem Ruhrgebiet, die anders dachten, redeten und reagierten als ein Mädchen aus Pyritz. Und selbst die Schikanen der Zink am Wochenende wurden, weil Liesbeth mit Schrubber und Lappen helfend eingriff, erträglicher.
Was die Wege durch den Wald betraf, so hatte sie sich auch hier gleich von Anfang an eingefunden. Etwas nach vorn gebeugt, stapfte sie neben Margot her, ohne zu fragen, sie war da. Allmählich jedoch kam sie ins Erzählen, von zu Hause vor allem, »’ne Masse Kinder und keen Jeld, aber immer jemütlich«. Und dann ihre vielfältigen Erfahrungen in den Hotelküchen, die Zustände dort, die Eigenheiten der Chefs, der Ober- und Unterköche und ihre Tricks am Herd. »Mir macht keener wat vor, ooch nich mit’n Frack«, sagte sie, gab
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