Malenka
ihn sich trotz Orden und der blauen Uniform mit den beiden goldenen Ärmelstreifen weder als Wachoffïzier auf einem U-Boot vorstellen noch abgesoffen, was immer dieser Ausdruck beinhalten mochte, auch nicht verwundet, obwohl, wie sie ebenfalls erfuhr, er vier Monate Lazarett hinter sich hatte, nur noch auf einer halben Lunge pfeife und nun den Rest des Krieges friedlich als Schreibstubenhengst zu verbringen gedenke. Im übrigen hieße er Wiethe, Berthold Wiethe. Und Sie?
Margot nannte ihren Namen und fragte, ob er aus Buxtehude sei.
Er hob abwehrend die Hände. »Aus Hamburg, Gott sei Dank.«
»Warum Gott sei Dank?«
»Weil diesen Kleinstädtern immer das letzte Stückchen Draht fehlt«, sagte er, worüber sie sich ärgerte.
»Ich bin aus Pyritz. Und der Führer stammt aus Braunau.«
»Selbstverständlich bringen Kleinstädte manchmal fabelhafte Genies hervor«, sagte Wiethe. »Aber mein Sohn soll trotzdem lieber in Hamburg aufwachsen.«
»Sie haben einen Sohn?« Margot lachte. Wiethe, mittelgroß, schlank, muskulös, erinnerte sie mit seinen flinken Bewegungen, immer auf dem Sprung sozusagen, und den krausen dunklen Haaren an Steppke, den Terrier von Rosemarie Hamel, der einmal ein ganzes Schulfest durcheinandergebracht hatte.
»Lachen Sie nicht, young Lady«, sagte Wiethe. »Mehr Respekt vor einem deutschen Offizier, wenn ich bitten darf«, und Margot sagte, daß sie ja zum Glück nicht sein Rekrut sei.
»So?« Er grinste. »Man kann nie wissen. Haben Sie dem Schweinskopf nicht irgendwas von Mellenthin erzählt? Da fahre ich nämlich auch hin, und hoffentlich freut Sie das.«
»Ich weiß nicht«, sagte Margot, ein Geplänkel, das hin und her ging, und bei »ich weiß nicht« sollte es bleiben, auch später, als von Plänkelei keine Rede mehr war.
»Warum so zögernd?« fragte Wiethe.
»Abwarten«, sagte sie. »Ein Spruch von meiner Großmutter...«
»Was für ein Spruch?«
»Man kann vorher nie wissen, ob am Weg Dreck liegt oder Gold«, zitierte Margot zu ihrer Verwunderung, denn bisher hatte sie anderen gegenüber ihre Großmutter lieber aus dem Spiel gelassen.
Wiethe zog sein Heft heraus. »Gleich noch mal.«
Margot zögerte. »Wollen Sie es richtig hören?«
»Nur«, sagte er, »immer nur richtig.«
»Kannst du nie wissen, Malenka, ob Haufen am Weg ist von Pferd oder von Gold«, murmelte sie und fügte hinzu, daß ihre Großmutter sie immer Malenka genannt habe und aus einem polnischen Dorf stamme und nie gelernt habe, fehlerfrei Deutsch zu sprechen.
»Mein Großvater stammt aus Hamburg und hat das auch nie gelernt«, sagte Wiethe. »Ob Haufen am Weg ist von Pferd oder von Gold. Fabelhaft. Hat Ihre Großmutter noch mehr Sprüche auf Lager? Wo genau kommt sie her?«
»Aus dem Bezirk Posen. Und hat mit achtzehn meinen Großvater geheiratet, Heinrich Jarosch...«
Die Geschichte. Zum zweiten Mal, daß ein Fremder sie hörte, zum ersten Mal eigentlich, denn so weit in die Vergangenheit hatte Margot sich bei Helmut Blumer nicht gewagt. Ein Notsitz im D-Zug, da saß sie und erzählte, ohne zu wissen, warum, von den Waschküchen und Marie Asmussens Rezeptbuch, von Heinrich Jaroschs spätem, aber noch rechtzeitigem Tod, von Hedwigs Juchhe und Ade, von Robert Kremer und Anna Jaroschs Gang zum Standesamt, und dann ihr eigenes Kapitel, Doris Hoppe und der Käsegeruch, das Lyzeum und die Bank und Lotte Lerche, und kein Lachen diesmal, das sie unterbrach, nur der Zug hielt plötzlich, »Ducherow«, rief der Schaffner, noch bevor die Geschichte zu Ende war.
»Schade«, sagte Wiethe. »Ich könnte glatt durchfahren bis nach Sibirien.«
Vor dem Bahnhof wartete der Wagen auf ihn, und Margot brauchte nicht zu Fuß nach Mellenthin zu gehen, angenehm im Moment, aber Ursache auch für den Neid der Zink, für abendliche Küchendienste und Putzarbeiten am Wochenende. Dreck oder Gold am Weg, die Frage blieb.
Im Auto, Wiethe saß vorn neben dem Fahrer, schwiegen sie.
Nur einmal drehte er sich um und sagte: »Ich weiß, worauf Sie warten. Sie wollen es Pyritz zeigen. Und Ihre Großmutter muß ich unbedingt kennenlernen. Nehmen Sie mich mal mit, Malenka?«
»Ja«, sagte sie und meinte es auch. Wiethe, vor dem sie sich nicht schämte. Ihm hätte sie die Kleine Wollweberstraße gezeigt, das Haus von Dobbertins, das Vertiko samt Hedwig als Braut und Hedwig im Sarg. Aber es ergab sich keine Gelegenheit mehr dazu. Wiethe schien verschwunden nach ihrer Ankunft im Lager, acht Wochen ohne ein Wort von ihm. Und dann
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