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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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die anderen.
    Drei Menschen nur aus der Mellenthiner Zeit nahm Margot mit: Lore Möller, jene Lore Möller, die so oft in Pyritz an ihr vorbeigegangen war, jetzt aber blieb. Dann Liesbeth Domalla vom Wedding. Und Wiethe, Oberleutnant Berthold Wiethe, ihre Reisebekanntschaft, getroffen, kennengelernt, angelacht, wenn auch nicht im Sinne von Fräulein Zink.
    Wiethe hatte im Gang des D-Zugs gestanden, der auf dem Bahnhof in Stettin wartete und, als Margot einsteigen wollte, schon so von Soldaten überquoll, daß der Schaffner, ein rotgesichtiger Mensch mit blassen, weißbewimperten Augen, keine Zivilisten mehr zulassen wollte und Margot erst nach längerer Debatte in einen fast leeren Erster-Klasse-Wagen brachte. »Aber nur auf dem Gang!« befahl er. »Wenn ich Sie im Abteil erwische, schmeiße ich Sie aus dem Zug.«
    Ein Stichwort für Wiethe, er liebte solche Stichworte, und Margot hörte nie auf, darüber nachzudenken, ob das Stichwort des Schaffners, der darauffolgende Dialog und was sich schließlich aus der Begegnung mit Wiethe ergab, die Richtung ihres Lebens bestimmt hatten, oder ob auf jeden Fall, Wiethe hin, Wiethe her, alles so gekommen wäre, wie es kam. Müßige Fragen, denn so oder so, das Spiel beginnt und geht weiter, Auftritt Schaffner, und Wiethe - noch nicht Wiethe für Margot, vorerst nur ein Marineoffizier, der im Gang am Fenster steht und raucht - drehte sich um und fragte: »Wie machen Sie das eigentlich immer?«
    Der Schaffner nahm Haltung an. »Was, Herr Oberleutnant?«
    »Rausschmeißen. Aus der Tür? Oder finden Sie das Fenster praktischer?«
    Das rosa Gesicht des Schaffners färbte sich dunkler. Er wandte sich abrupt zur Tür.
    Wiethe holte ein Oktavheft nebst Bleistift aus der Tasche. »Was meinen Sie, könnte man ihn als Schweinskopf bezeichnen?« fragte er. Und Margot, auf diese Anrede nicht gefaßt, sah ihn erstaunt an, nickte dann aber. »Doch, das stimmt.«
    Er lehnte sich an die Wand und begann zu schreiben, hastig, ohne aufzublicken. Margot klappte den Notsitz herunter. Sie griff nach ihrem Buch und versuchte zu lesen, merkte jedoch nach einer Weile, daß er sie musterte, mit aufmerksamen braunen Augen.
    Irritiert drehte sie den Kopf zur Seite.
    »Nein, nicht doch, ich brauche Ihr Gesicht!« sagte er, kam näher und erklärte in schnellen, jedoch präzise formulierten Sätzen, daß er Journalist sei und später, wenn dieser ganze Mist vorbei wäre, eine große Reportage schreiben wolle über Menschen im Krieg. Dafür sammle er Gesichter, die Menschen hätten nämlich ganz spezielle Gesichter unter der Kriegsglocke, Angst, Resignation, Verzweiflung, Wut, Kraft, Verwegenheit, auf jeden Fall anders als sonst, so vis-à-vis de rien, zum Beispiel dieses Würstchen von Schaffner, soviel Macht plötzlich, ein ganzer Zug mit Soldaten, die er abliefern müsse zum Sterben, na, das sei doch phantastisch, und ihr Gesicht, das könne er ebenfalls gebrauchen, wenn sie doch bitte noch einmal lachen würde, in ihrem Lachen, da sehe er so eine seltsame Mischung von Abwehr und Erwartung, und es interessiere ihn natürlich, warum, vor allem was die Erwartung angehe, denn eigentlich gäbe es ja nicht viel Gutes zu erwarten momentan, oder?
    »Also wirklich«, sagte sie fast erschlagen vom Tempo der Rede, »ich bin doch keine Sammeltasse«, eine Bemerkung, die er albern nannte und ob sie etwa ein Puttchen sei.
    Margot fing an zu lachen. »Klar bin ich ein Puttchen. Und einen Journalisten habe ich auch noch nie gesehen. Bei welcher Zeitung waren Sie denn?«
    »Zeitung? Na, Sie gefallen mir.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf seine linke Brustseite, Verwundetenabzeichen, U-Bootabzeichen, EK I, Deutsches Kreuz in Gold, der reine Weihnachtsbaum, sagte er, und Zeitung, so ein Witz, er sei fünfundzwanzig und habe nach dem Abitur noch gerade volontieren können in der schönen Stadt Buxtehude, wo der Hund und so weiter, und dann ab zur Marine, U-Boot ausgerechnet, freiwillig sogar in jugendlichem Wahnsinn, und dann gleich der Krieg und abgesoffen und gerettet und wieder abgesoffen und gerettet und schließlich verwundet bei Nacht und Nebel, ein Flugzeug und ich auf der Brücke, pengpengpeng, wirklich nett von dem Tommy, aber von wegen Zeitung. Trotzdem, das würde noch kommen, jeder Schrecken hätte ja mal ein Ende, und seine Überlebenschancen stünden, dem Tommy sei Dank, nicht schlecht.
    Ein Sprachgalopp und Sätze, die man in Pyritz nur hinter geschlossenen Türen zu äußern gewagt hätte. Margot konnte

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