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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Tips, welche Speisen im Restaurant getrost zu verzehren, welche dagegen zu meiden seien wie Fliegenpilze, und berichtete von Kellnern, die aus Wut über einen Gast in die Suppe spuckten, daran müsse man denken, wenn es wieder was zu essen gäbe.
    »Fall ick dir uffn Keks?« wollte sie einmal nach solchem Diskurs wissen, ängstlich fast, und erst bei dieser Gelegenheit wurde Margot klar, wie sehr Liesbeths Berliner Witz und Zungenschlag ihr die langen Wege verkürzten. Im übrigen hatte auch sie inzwischen längst zu reden angefangen, Schulerlebnisse, Bankgeschichten, über Bücher sogar, von einzelnen Figuren und Episoden bis zum gesamten Inhalt der Buddenbrooks, wobei Liesbeth wortlos vor sich hinblickte, ohne Zeichen besonderer Anteilnahme, aber, sobald eine Pause eintrat, »nu mal weiter« murmelte.
    »Wieso?« Margot schüttelte den Kopf und stellte dann ebenfalls eine Frage: »Warum tust du eigentlich dauernd was für mich?«
    Liesbeth schwieg. »Wat willste denn machen, wenn eener zwee linke Hände hat«, sagte sie schließlich. Später irgendwann wird sie hinzufügen: »Is interessant mit dir. Ich bin ja bloß ’ne Proletin von’n Wedding, aber wat Interessantes hör ick ooch jerne.«
    Liesbeth Domalla, die mehr brauchte, als man in Hotelküchen für eine wie sie in Vorrat hielt. Ob Margot es begriff? Nicht so bald, unerfahren noch mit fremden Gefühlen, verfangen im Spiel der eigenen Erwartungen, und alles andere nur Wände, gegen die sie die Bälle warf. Sie nahm, was Liesbeth Domalla zu geben hatte, gab auch etwas zurück, die Buddenbrooks im Überfluß, wenig dagegen von sich selbst. Hochmut, hätte Anna Jarosch vielleicht gesagt.
    Es war ein Dienstag, als das Telegramm von Dobbertins kam, Ende August, aber schon Herbst in der Luft, zwei Wochen noch bis zum fünfundsiebzigsten Geburtstag ihrer Großmutter. Margot hatte bereits Urlaub beantragt und den Besuch in Pyritz angekündigt. Vor zwei Tagen erst war die Antwort eingetroffen, nur wenige Zeilen wie stets. »Liebe Enkelin, freue ich mich es geht dir gut. Mußt du essen alles was gibt, in schlechte Zeiten kann man nicht aussuchen. Mir geht so wie alle Tage, Magen und Kopf. Wenn du kommst für Geburtstag ist beste Geschenk und warte ich. Soll Gott dich beschützen. Gruß deine liebe Großmutter Anna Jarosch.«
    Und nun das Telegramm. Beerdigung am Donnerstag.
    Margot warf sich auf ihr Bett, und es war Liesbeth Domalla, die tat, was nötig war. Sie schickte die anderen Mädchen aus der Stube, versuchte dann bei der Zink drei Wochen Urlaub herauszuschlagen, weil der Haushalt aufgelöst werden mußte, erreichte zwei, womit sie gerechnet hatte, lief durch das Dorf, um einen Wagen aufzutreiben, der zum Frühzug fuhr, und packte auch noch den Koffer, so daß Margot am nächsten Morgen abreisen konnte und am Nachmittag in Pyritz eintraf.
    Anna Jarosch lag noch in ihrem Bett, gelblich die Haut, Watte auf den Augen. Sie war in der Nacht gestorben, allein, niemand bei ihr, der die Lider hätte schließen können. Aber das Gesicht zeigte keinen Schrecken, ein Lächeln eher, ist wohl hinübergeschlafen, vermutete Frau Dobbertin, die ihr Astern unter die Hände gelegt hatte und den Rosenkranz. »Großmutter«, flüsterte Margot, und als ihre Lippen die Stirn berührten, fuhr sie zurück. Wie ein Stein im Winter. Erst jetzt begriff sie den Tod. Sie saß da und weinte, und diesmal war es ein Schmerz, der blieb.
    Bei der Beerdigung auf dem Friedhof hinter dem Füllenort, wo Margot als Kind so oft mit ihr spazierengegangen war, regnete es. Dennoch folgten fast alle Bewohner der Kleinen Wollweberstraße dem Sarg, auch einige frühere Wurstkunden und Anhängerinnen von Anna Jaroschs Kartenkünsten, und weil die Vorgärten voller Herbstblumen standen, verschwand der Sarg unter Astern und Dahlien, eine Pracht ganz zum Schluß, prächtiger, als das Leben der Toten jemals gewesen war. Der alte katholische Pfarrer las die Messe, befremdlich für die meisten, dieser lateinische Singsang, und daß er in seiner kurzen Predigt immer wieder von dem reuigen Sünder sprach, der im Himmel freudiger empfangen werde als zehn Gerechte, fand ebenfalls wenig Verständnis, denn wer wußte schon etwas von Anna Jaroschs notdürftig bereinigtem Konflikt mit Gott. Trotzdem sagten alle, nachdem am Grab das Vaterunser gesprochen war, das Gebet für den nächsten Toten aus der Runde und der letzte Segen, es sei eine schöne Beerdigung gewesen, nur schade, daß es keinen Kaffee gäbe

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