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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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zuzuschreiben, der ihn gleich nach Amtsantritt zurück ins Lazarett brachte. Zwei Monate Abwesenheit, wonach er in der Tiefe des Panzerschranks einen Stapel von etwa vierhundert versiegelten Umschlägen vorfand, die Ausbeute dieser Zeit, während der an jedem Morgen ein Fregattenkapitän von der Zentrale sich stellvertretend in dem Büro eingeschlossen hatte, um wenigstens Teile des Zeremoniells zu vollziehen, nämlich die Staatsgeheimnisse des Tages zu den bereits vorhandenen zu werfen.
    Eine Farce, wie Wiethe von Anfang an gewußt hatte, das Ritual, das schwarze Buch, alles eine Farce. Er begann zu rechnen, dann schlug er die Tür des Panzerschranks zu und entschied, unter keinen Umständen fast fünfundsiebzig Stunden seines Lebens an die Aufarbeitung von soviel Mumpitz zu vergeuden, überhaupt keine Zeit mehr, auch nicht mehr achtzig Minuten für die täglichen Quoten.
    Dies der Stand im September. Nach Weihnachten jedoch, inzwischen waren es an die zwölfhundert Umschläge geworden, ein gigantisches Chaos unten im Panzerschrank, wurde die Revision des gesamten Arsenals angekündigt. Und da Wiethe zwar das baldige Ende des Krieges voraussah, nicht aber den genauen Zeitpunkt, und da er außerdem der Bürokratie alles zutraute, selbst einen so wahnwitzigen Akt amtlicher Ordnung inmitten der Auflösung, ließ er Margot rufen.
    »Na, young Lady«, sagte er nachdenklich, als sie vor ihm stand, in ihrem grauen Rock und dem roten Pullover, die kurzen hellen Haare frisch gewaschen, weil Montag war, aber sie hätte, erklärte er ihr später, immer so frischgewaschen ausgesehen, ich hatte Angst, einen Fleck auf deine Bluse zu machen, »na, young Lady«, und Margot wartete auf die üblichen Worte: »Also quatschen wir ein bißchen«, Einleitung zu Monologen, Dialogen, Streitgesprächen. Nichts historisch Unverbindliches wie zu Helmut Blumers, des Muschelzählers Zeiten, sondern dicht am Gegenwärtigen, an ihm und an ihr, fast zu dicht, gemessen an der äußeren Distanz, auf die er hielt, Oberleutnant Wiethe und Fräulein Jarosch, young Lady allenfalls, so daß sie abends vor dem Einschlafen auch ihn wieder zu sich heranträumen mußte und in den Armen eines Phantoms zur Ruhe kam.
    Diesmal jedoch fehlte die gewohnte Begrüßung. Er sah sie nur an.
    »Sammeln Sie mein Gesicht?« fragte Margot, worauf er vom Schreibtisch rutschte und die Tür zum Panzerschrank aufschloß.
    Da lagen sie, eintausendzweihundert Umschläge oder mehr, mit dem roten Stempel GeKaDos. Margot wandte sich erschrocken ab, aber Vertrauen gegen Vertrauen. »Ich vertraue Ihnen«, sagte Wiethe, »ich weiß, Sie reden mit niemandem darüber, nirgendwo, ist sowieso alles Quatsch, Schnee von gestern, das schwarze Buch hätten wir ebensogut den Tommies zu Weihnachten schenken können, doch wenn die ganze Erde bebt, der Führer verlangt Ordnung, und der Führer hat recht.« Sprachgalopp, doppelte Geschwindigkeit, die Verantwortung trage ich, Befehl sozusagen, Sie bekommen auch mein Deutsches Kreuz in Gold.
    Er lachte, und am nächsten Tag zog Margot um in Wiethes Büro, zu Inspektor Kleinerts Empörung, obwohl Kleinert nichts ahnte von den geheimen Umschlägen, die sie öffnete, von den geheimen Formeln, die sie schrieb, daß sie Zugang zum Panzerschrank besaß und, als Wiethes Techtelmechtel mit der Swinemünder Annelie begann, sogar den Schlüssel, damit das schwarze Buch auch ohne ihn abends an seinen Platz zurückgelegt werden konnte. »Berichte«, hatte Wiethe erklärt, »Fräulein Jarosch schreibt Berichte für mich, bitte keinesfalls stören«, und was immer Kleinert hielt von der Arbeit im Chefbüro, Offizier war Offizier. Eine Farce, wie gesagt, nur das Ende war aus anderem Stoff.
    Der Schluß, zugleich auch der Schluß dieser Mellenthiner Zwischenphase, kam im März durch Wiethes Schuld, sofern überhaupt von Schuld gesprochen werden kann angesichts der allgemeinen Verwirrung.
    »Wir sind Kriegsmenschen«, hatte Wiethe irgendwann gesagt in einem seiner Monologe auf dem Schreibtisch, »ich zum Beispiel, meinen Sie etwa, ich würde üblicherweise Juhu brüllen, wenn ein Haufen Leute absäuft im Atlantik? Habe ich aber getan, wenn unser Torpedo gesessen hat. Oder nehmen Sie die russischen Soldaten, wie sie auf die Frauen hier losgehen, kaum zu fassen so was, und zu Haus in ihrem Dorf, da sind sie bestimmt ganz manierlich, und wenn du zu Besuch kommst, bringen sie dir Brot und Salz. Und was wir bei denen veranstaltet haben, na, das ist doch auch nicht

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