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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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niemandem. Oberleutnant Wiethe hat es verboten.«
    »Wußten Sie, daß es sich um geheime Kommandosachen handelte?«
    »Ja. Es stand auf den Umschlägen und auf den Papieren.«
    »Warum haben Sie sich nicht geweigert?«
    »Es war ein Befehl von Oberleutnant Wiethe. Ich dachte, ich müßte ihn befolgen.«
    »Sie hätten es der Zentrale melden müssen.«
    »Das wußte ich nicht.«
    »Hatten Sie ein Verhältnis mit Oberleutnant Wiethe?«
    »Nein.«
    »Es wird behauptet.«
    »Das stimmt aber nicht. Er ist verheiratet und hatte eine Freundin in Swinemünde.«
    »Hat jemand versucht, über Sie an das schwarze Buch heranzukommen?«
    »Nein, niemals. Keiner wußte, daß ich den Schlüssel hatte.«
    Der Kommandant war ein freundlicher Mensch, in seinen Augen lag Mitleid.
    »Hat Oberleutnant Wiethe denn niemals Bedenken geäußert, daß er Ihnen Zugang zu geheimen Kommandosachen läßt?«
    »Nein. Er hat gesagt...«
    »Was hat er gesagt?«
    »Es sei sowieso alles Quatsch, kein Mensch interessiert sich noch für die Formeln, und man hätte das Buch auch den Engländern zu Weihnachten schenken können.«
    Das Büro des Kommandanten lag im ersten Stock, ein großer, heller Raum, von den Fenstern ging der Blick auf eine Lichtung mit verschneiten Fichten, und während Margot ihre Antworten gab, fiel ihr ein, daß irgendwo hinter dem Wald die Ostsee beginnen müsse, und nie war sie sonntags dorthin gekommen, müde, immer viel zu müde, und vielleicht würde sie sterben, ohne das Meer gesehen zu haben, eine Überlegung nur, ohne Ansturm von Gefühlen. »Ich bin doch keine Spionin«, sagte sie, seltsam ruhig, es haftete noch an der Oberfläche, was geschehen war.
    Er glaube ihr, versicherte Korvettenkapitän Rottenbuch, doch frage er sich, ob andere ihr ebenfalls glauben würden. Sie sei in eine dumme Sache hineingeraten, sehr dumm, und leider müsse er die Sache melden, es wüßten bereits zu viele davon. Aber vielleicht ließen die da oben alles auf sich beruhen, das läge ja nahe, nur wisse man es nicht, und sie solle erst einmal ins Büro zurückkehren, morgen werde man weitersehen. Er gab ihr die Hand und sah sie eindringlich an. Ich an Ihrer Stelle wäre morgen nicht mehr da, stand in seinem Gesicht.
    Am Spätnachmittag, beim Weg durch den Wald, schneite es wieder, schneite immer noch, der Schnee knirschte unter den Sohlen, dabei war es schon der 5. März. Margot hatte sich weinend gegen einen Baum gelehnt, Verräter, verfluchter Hund, cholera psa krew, und Lores Hand weggestoßen, laß mich in Ruhe, sich dann aber an ihrer Schulter getröstet, warum ich, warum immer ich, und, als sie wieder ruhiger atmen konnte, sagte sie, daß sie weg müsse, in dieser Nacht noch.
    »Ich komme mit«, sagte Lore Möller.
    »Du nicht«, sagte Margot. »Es ist noch kalt, und du hast Angst, und deine Schuhe sind kaputt, und vielleicht suchen sie mich, das ist viel zu gefährlich, bleib lieber hier.« Sie sagte es wieder und wieder und fragte sich ein Leben lang, warum sie versucht hatte, so vehement etwas zu verhindern, was sie sich so sehr wünschte. Aber Lore ließ sich ohnehin nicht beirren, »wenn wir zusammenbleiben wollen, müssen wir auch zusammen fliehen«, und keine Stimme, die sie warnte, geh nicht nach Neustrelitz an jenem Tag.
    »Ja, nu isset wohl soweit«, befand auch Liesbeth Domalla, »und immer noch so’n Hundewetter. Mal sehn, ob ick noch ’n Happen orjanisieren kann.«
    »Liesbeth...« sagte Margot, »wenn du...«
    Liesbeth Domalla schüttelte den Kopf. »Schon jut. Hauptsache, dat du durchkommst.«
    Eine Stunde nach Mitternacht stiegen sie aus dem Flurfenster der Baracke, Margot zuerst, dann Lore, und Liesbeth verriegelte es hinter ihnen, so daß niemand die Flucht bemerken konnte bis zum Morgen. Margot trug zwei Pullover unter ihrem Mantel, die Trainingshose unter dem Rock, um Kopf und Schultern Anna Jaroschs großes, schwarzes Tuch. In eine Wolldecke hatte sie Wäsche gerollt, die gelbe Strickjacke, das zweite Paar Schuhe, Strümpfe, Brot und Margarine von Liesbeth Domalla, Wiethes Schweinefleisch und zum Schluß noch ihr Lieblingskleid, das blau-gelb gestreifte von Rosa Klingbeil. Ihre sechzehn Hundertmarkscheine steckten in dem Brustbeutel, die Papiere in der Umhängetasche, so ging sie über den Rest der Brücke zwischen gestern und dem, was auf sie wartete.
    Es hatte aufgehört zu schneien. Eine helle Nacht, die Konturen der Häuser mit ihren Giebeln verwischten sich im Mondlicht, und das Kopfsteinpflaster der

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