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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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gerade die edle deutsche Art. Und dann mein Kommandant auf dem vorletzten Boot, eine Seele von Mensch, wie ein Vater, richtig liebevoll, hätte Pastor sein können im normalen Leben oder einer von den guten alten Lehrern. Aber was macht er? Schippert mit seinen Jungs direkt den Wasserbomben entgegen und weiß genau, daß sie irgendwann draufgehen. Dabei hätte er doch eigentlich nur einen einzigen Gedanken haben müssen, wie rette ich die, und nichts wie Kurs auf England und in die Gefangenschaft. Aber nein, Kurs auf den Tod, und das seltsamste, die finden es sogar richtig. Also manchmal denke ich, es gibt außer dem Großhirn und dem Kleinhirn noch ein Kriegshirn, das schaltet sich ein bei der Mobilmachung, klick, und du bist ein Kriegsmensch. Fragt sich bloß, ob man da hinterher wieder ein anständiger Friedensmensch werden kann.«
    Wiethe, der Friedensmensch, nachdenklich im Reden, gedankenlos im Tun, nur auf seine ruhige Kiste versessen, obwohl er sich durchaus Gedanken gemacht hatte über Margots Aktion. Acht Stunden Büro, so seine Rechnung, davon etwa anderthalb für die Neueingänge. Bleiben gute sechs übrig. »Wenn Sie fünf davon pinseln«, sagte er, »gibt es eine Tagesquote von fünfundzwanzig Umschlägen, hundertfünfzig pro Woche, also könnten wir glatt um den zwanzigsten Februar herum fertig sein.«
    Wir, sagte er. Doch abgesehen davon, daß sein Anteil sich mit dieser Redensart erschöpfte, er ferner vergessen hatte, das morgendliche Zeremoniell einzukalkulieren, bei dem nur der Chef sich im Büro aufhalten durfte, außerdem noch die Kaninchen zu füttern waren und seine Lust am Gespräch sich ebenfalls nicht eindämmen ließ, war es vor allem Margot, die nicht nach Plan funktionierte. Vier Stunden täglich, mehr blieb ihr nicht für die Aufarbeitung der Masse im Panzerschrank, Zahlenketten ohne Sinn für sie, eine wie die andere, mit kaum merklichen Abweichungen 31678... 49123... 15736, so lief es in endloser Monotonie. Die Zahlen begannen vor ihren Augen zu tanzen, verwirrten sich im Kopf, schreiben, radieren, schreiben, wieder radieren, die Zeit rannte davon, Mitte Februar schon, kein Ende abzusehen.
    »Schreiben Sie einfach drauflos«, sagte Wiethe beunruhigt, »Hauptsache, es steht irgendwas da«, aber diese Unbekümmertheit brachte sie nicht auf. Und als er sich endlich bequemte und wenigstens die Umschläge öffnete, die Papiere über der eisernen Schale verbrannte, vormittags allerdings nur, ehe es ihn nach Swinemünde trieb, war März, und wenn Wiethe etwas vorzuwerfen ist, dann, daß er Margot, obwohl bereits russische Granaten einschlugen hinter Wollin, mit dem Schlüssel allein ließ, gedankenlos, bedenkenlos.
    »Bis bald, young Lady«, sagte er beim letzten Mal, die Mütze schräg auf dem Kopf, unterm Arm eine Flasche Wein, und fuhr zu Annelie. Den Befehl, sich am nächsten Tag zum Fronteinsatz in Stettin zu melden, fand er erst nach seiner Rückkehr um Mitternacht vor, nahm sogleich, wie geplant für diesen Fall, den Koffer mit Zivilkleidung und rettete seine Haut.
    Wiethes Flucht, die gelungene Flucht, eine Geschichte für sich. Aber sie ist nicht mehr wichtig an diesem Punkt von Margots Geschichte, wichtig ist nur, daß er verschwand, und weil man Wiethes, des Deserteurs, nicht habhaft werden konnte, griff man nach ihr.
    »Warum mußten Sie überhaupt von dem Schlüssel reden?« wird er fragen, sehr viel später, am Tag der Abrechnung in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. »Es würde Ihnen nichts passieren, dachte ich damals.«
    »Man hat mich verhört«, sagte Margot.
    Das Verhör fand im Zimmer des Kommandanten, Fregattenkapitän Rottenbuch, statt, und er selbst stellte die Fragen.
    »Welche Berichte waren in Oberleutnant Wiethes Büro zu schreiben?«
    »Gar keine Berichte.«
    »Was sonst?«
    »Zahlen.«
    »Was für Zahlen?«
    »Pulverformeln für die Signalraketen.«
    »Wo kamen die her?«
    »Aus den Umschlägen im Panzerschrank.«
    »Was haben Sie in Oberleutnant Wiethes Zimmer gemacht, wenn er nicht da war?«
    »Die Formeln in das schwarze Buch eingetragen.«
    »Wie sind Sie ohne Oberleutnant Wiethe an den Panzerschrank gekommen?«
    »Mit dem Schlüssel.«
    »Auch gestern?«
    »Ja.«
    »Wo befindet sich der Schlüssel jetzt?«
    »Ich habe ihn. Hier.«
    Vielleicht hätte sie leugnen sollen. Aber wie macht man das in dieser Angst, unvorbereitet, und keine Kenntnis von den Strategien der anderen Seite.
    »Mit wem haben Sie über das schwarze Buch gesprochen?«
    »Mit

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