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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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und forderte den zweiten. »Arzt.«
    »Na also«, sagte die Frau. »Und kein einziges Papierchen zum Vorzeigen? Kann auch ein Brief sein, sind ja mit allem zufrieden da auf dem Amt.«
    »Nur die Geburtsurkunde«, sagte Margot, »und das Abiturzeugnis.« Und damit war es eigentlich schon geschehen.
    Die Registrierung im Rathaus, von einem überlasteten und zu schnellen Schlüssen neigenden Beamten vorgenommen, erwies sich tatsächlich als unkompliziert, auch deshalb, weil Margot, ohne Kalkül zwar, jedoch zur rechten Zeit, in Tränen ausbrach.
    »Keine weiteren Papiere? Wieso haben Sie die denn verloren?«
    »Tiefflieger«, sagte Margot stockend. »Ich bin weggerannt, und dann waren die ganzen Sachen verschwunden.«
    »Halunken«, sagte der Mann. »Und Ihre Eltern?«
    Margot senkte den Kopf, zuviel, was über sie gekommen war in einer einzigen Woche, und nun sollte sie sich auch noch ein neues Leben zusammenlügen.
    »Aber Fräuleinchen, weinen Sie doch nicht«, sagte der Beamte mitleidig. »Schlimme Sache, ich weiß, ich weiß, und noch so jung. Also Möller?« Er blickte auf die Geburtsurkunde. »Vorname? Hier ist keiner unterstrichen.«
    »Margret.«
    »Und Sie?« wandte er sich an die Frau aus Elbing, »können Sie das alles bezeugen?«
    »Aber ja doch, hab’ sie ja schon als Kind gekannt, die Margret, und so eine gute Herrschaft, ach Göttchen ja.« Sie stieg in ihre Geschichte ein, nämlich daß sie, von Elbing kommend, bei Möllers Unterschlupf gefunden habe und dann wieder mit ihnen zusammen auf die Flucht gegangen sei, doch der Mann wollte Einzelheiten gar nicht hören. »Dein Zeugnis von der Schule, Margretchen!« konnte sie schnell noch anbringen, auch das unnötigerweise, er begann bereits, sich die Fakten zu notieren. Lores Namen, Lores Geburtstag, Lores Eltern.
    »Und wann war der Tieffliegerangriff?«
    »Am vorigen Freitag. Bei Neustrelitz.«
    Der Beamte sah auf den Kalender. »Beide Eltern sind also am 9. März verstorben?«
    Margot nickte, erleichtert fast über diesen fiktiven Tod, durch den die usurpierten Eltern ebenfalls etwas Unwirkliches bekamen. Im übrigen hatte der Beamte das Datum bereits zu Papier gebracht, keine Fragen mehr, die Bescheinigung wurde ausgestellt: Es meldet sich hier Fräulein Leonore Margret Louise Möller, geboren am 22. 3. 1926 in Pyritz, daselbst wohnhaft bis zum 25. 2. 1945, Tochter des am 9. 3. 1945 verstorbenen Arztes Dr. Georg Möller und seiner ebenfalls am 9. 3. 1945 verstorbenen Ehefrau Louise Möller, geb. Reimann (beide durch Kriegseinwirkung zu Tode gekommen, deshalb keine Totenscheine vorhanden), unter Vorlage der Geburtsurkunde, und erklärt, bei einem Tieffliegerangriff im Raume Neustrelitz alle weiteren Dokumente verloren zu haben. Sämtliche Angaben werden bezeugt und bestätigt von Frau Mathilde Kalischke aus Elbing, ehemalige Hausgehilfin bei Dr. Möller. Diese Bescheinigung gilt als vorläufiger Ausweis und berechtigt die Inhaberin zum Bezug von Lebensmittelkarten und sonstigen Bezugsscheinen.
    Unterschrift, Stempel, zwei Mark Gebühr. Die Lebensmittelkarten gab es einen Stock höher, somit war alles getan. Margret Möller, ein neuer Name, mit dem sie das Rathaus verließ, und die Welt schien verändert, roch anders, klang anders, hielt ihr andere Farben entgegen.
    »Meine Zuckermarken«, verlangte die Kalischke, »und ein bißchen Schmalz, schmeckt mir so gut.«
    Margot gab ihr die ganze Büchse, sie hätte alles hergegeben, was sie besaß, nur weg von dieser Person, und auch zukünftig sollte sie angesichts eines Typs dieser Art jedesmal in Panik geraten. Aber zum Glück war es nie die Frau aus Elbing.
    Bevor Margot am Nachmittag ihr Bündel wieder zusammenschnürte, nahm sie das Medaillon vom Hals und legte es in den Umschlag zu den Papieren und Fotos. Dann ging sie in die Studierstube. Das Dienstmädchen, das gerade den langen Flur schrubbte, hatte ihr zwar verdrossen und nach Landesweise über den spitzen Stein stolpernd erklärt, eine S-törung würde Frau Pastor bes-timmt nicht freuen, die hätte nämlich ihre Freis-tunde, aber Margot wollte nicht ohne Abschied das Haus verlassen.
    Der Pastor und seine Frau saßen beim Tee. Draußen regnete es wieder, und erst jetzt bemerkte Margot, wie gemütlich es war in diesem altväterischen Zimmer mit dem gedrechselten Sekretär und dem Ohrenbackensessel, gemütlich auch die bauchige Kanne, das bunte Geschirr, der grüne Kachelofen. Und die Bilder an den Wänden, Dürers Apostel, zwei Ikonen, ein Stich von

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