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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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»Lobet den Herrn« erklingen ließ, danach gemeinsam mit seiner Frau »herzlichen Glückwunsch, liebe Margret, und Gottes Segen allerwegen« skandierte und ihr einen kleinen Wecker überreichte. Sie hatte gelächelt zuerst, gelächelt und genickt, wie üblich bei solchen Anlässen. Doch dann war sie aus dem Zimmer gestürzt, vor Kummer, meinten Schapers, der Eltern wegen, während Margot oben auf ihrem Kopfkissen um einen Geburtstag trauerte, der nicht ihr gehörte, und um den eigenen, den sie verloren hatte.
    Deutlich genug das Zeichen, und wenn Margot es nicht annahm, jetzt nicht, auch nicht nach der Kapitulation im Mai, als der Name Jarosch wieder ohne Bedenken genannt werden konnte, so deshalb, weil schon längst etwas anderes zu zählen begonnen hatte, obgleich ihr Kopf noch nichts Genaues davon wußte in den Turbulenzen zwischen Krieg und Frieden oder, der Verdacht liegt nahe, nichts davon wissen wollte.
    Was Hannover betraf im übrigen, so konnte man dort bereits am io. April aufatmen, wider Erwarten und kurz vor dem Ende jeder Hoffnung: Nach zwei Schreckenstagen nämlich, an denen fast ununterbrochen Granaten einschlugen und die Angst umging, daß die Stadt bis zum letzten verteidigt werden sollte, fuhren amerikanische Panzer durch die Straßen, um, wie Pastor Schaper es bei einem Dankgottesdienst in der überfüllten Dreifaltigkeitskirche formulierte, Satan mit seiner Brut endgültig zur Hölle zurückzutreiben. »Und nun, liebe Brüder und Schwestern, laßt uns den letzten giftigen Halm der braunen Teufelssaat aus dem Herzen reißen und Buße tun.«
    Es war seine erste Predigt nach dem Einmarsch der Amerikaner, und Margot, die neben Frau Schaper vorn in der ersten Bank saß, bemerkte Tränen hinter der goldgeränderten Brille. Sie wußte, warum er weinte. Sie wußte manches von ihm, denn die Sympathie, die von Anfang an zwischen ihnen bestanden hatte, war allmählich zur Vertrautheit geworden. Daß es dazu kommen konnte, lag an dem Mädchen Selma, das, laut Pastor Schaper, ein Trampeltier im Garten Gottes war und die Ruhe seiner Studierstube, die seit dem Einfall der vielen Fremden ohnehin schon als Wohn- und Eßzimmer diente, vollends störte. Nicht nur, daß Selma beim Aufräumen die Predigtkonzepte durcheinanderbrachte, sie warf auch Gegenstände, deren Nützlichkeit ihr nicht einleuchten wollte, ohne langes Fackeln zum Kehricht, einen hübschen Stein etwa, den er unterwegs aufgehoben hatte, eine bunte Scherbe, in der sich das Licht brach, lauter Dinge, die sein Herz erquickten.
    Kurz nach Margots Ankunft hatte Selma sich wieder an einer solchen Fundsache vergriffen, ein Knopf diesmal, Perlmutt, behauptete er, während sie von S-tinkzeug sprach, worauf Pastor Schaper sich in aller Sanftmut auf die Hinterbeine gestellt, ihr Raumverbot erteilt und Margot, beziehungsweise Margret, als Ersatz verlangt hatte. »Da sind Sie ja endlich, mein Kind«, sagte er seitdem jedesmal, wenn sie morgens nach dem Frühstück mit Eimer, Schrubber und Besen durch die Tür kam, so als ob er schon viel zu lange hätte warten müssen. In den Ohrenbackensessel gelehnt, sah er zu, wie sie den Staub vom Sekretär wischte, und leitete alsbald auf immer gleiche Weise - »ach ja, was ich noch bemerken wollte« - das Gespräch ein, über die letzte Predigt, über Vorgänge im Haus und in der Gemeinde, erörterte auch religiöse Fragen oder zeigte ihr seine Schätze, die Steine zum Beispiel, Teile der Ewigkeit für ihn, nimm einen in die Hand, und du spürst den ersten Schöpfungstag. Seine liebe Frau, sagte er, könne das leider nicht verstehen, sie sähe, darin sei sie der armen Selma ähnlich, nur das Nützliche, wie der Herr, so das Gescherr. Eine Martha, die Gute, stets mit aufgekrempelten Ärmeln, aber sicher sei eine Martha als Pfarrfrau das Richtige, und nun darf ich Sie wohl nicht länger aufhalten, liebe Margret, sonst dräut meine Martha.
    Das sowieso, hatte Margot daraufhin gesagt und erschrocken die Hand vor den Mund gelegt. Doch dann mußten beide lachen, und es lag an dieser Einigkeit, daß Margot zwei Wochen vor dem Einmarsch der Amerikaner den Mut fand, nach der Sonntagspredigt eine Warnung auszusprechen.
    »Könnten Sie das nicht lieber weglassen?«
    Er sah sie verständnislos an, und Margot sagte: »Die Schuld und die Strafe und das alles. Der Krieg ist doch bald vorbei.«
    Was das damit zu tun habe, wollte er wissen, und Margot zögerte, denn bisher war Politisches aus dem Spiel geblieben, und überhaupt, wie weit

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