Malenka
fordern schien, und manchmal verwundert über sich selbst. Sogar Frau Schaper zeigte ihre Anerkennung, mit einer Tasse Milch etwa, die sie hin und wieder abends in Margots Zimmer brachte. »Sie sind zu dünn, man kann ja durch Sie hindurchbeten.« Oder sie suchte aus den Kleiderspenden der Gemeinde das Brauchbarste aus, um es für Margots Größe herrichten zu lassen, von einer Näherin leider, die aus Teilen der einzelnen Stücke seltsame Gebilde produzierte, Mixturen verschiedenster Stoffarten und Muster, apart nannte sie es mit leuchtenden Augen. Der Höhepunkt, ein Rock, dessen vordere Seite grau, die hintere dagegen schwarz war, brachte selbst Frau Schaper aus der Fassung. »Ich weiß wirklich nicht, ob man so etwas anziehen kann«, sagte sie, Margot umrundend, »obwohl, Gott blickt aufs Herz, besonders jetzt, und Sie, Margret, hat er uns wahrhaftig zur rechten Stunde geschickt.« Ein Lob, dessen Bestandteile so wenig zusammenpaßten wie die der neuen Kleider und das Margot in geradezu schmerzhafter Weise gegen den Strich ging, auch dem Mädchen Selma offenbar, das, als sie gemeinsam einige beschmutzte Matratzen auf den Hof schleppten, verdrossen meinte: »Ver-s-teh’ ich nicht, Sie sind doch hier nicht in S-tellung, Sie müssen doch nicht s-pringen, wenn Frau Pastor pfeift.«
Aber es blieb keine Muße, darüber nachzudenken, für wen sie nun eigentlich sprang, ob für sich selbst, für die heimatlosen Menschen im Haus oder für Frau Schapers Seelenheil, die, wie sogar der Pastor des öfteren irritiert vermutete, sich mit Gewalt den Himmel verdienen wollte. Abends, wenn Margot ins Bett fiel, glaubte sie, nur noch aus Armen, Rücken und Beinen zu bestehen, und schon der Versuch, die Gedanken fortzuschicken, zu Ulrich Jensch etwa und seinen Händen, denn das Gesicht hatte sich inzwischen gänzlich aufgelöst, wurde vom Schlaf verschluckt. Vielleicht lag es an der Unentschiedenheit dieser Wochen, kein Krieg mehr und doch noch Krieg, in Berlin und an der pommerschen Küste zum Beispiel, daß auch sie unentschieden blieb. »Wenn Mensch nicht weiß, was will«, hatte ihre Großmutter gesagt, »geht er wie Pferd an Zügel. Sollst du kein Pferd sein in dein Leben, Malenka.«
Ausgerechnet am Tag der Kapitulation, als sie die Nachrichten hörte, fiel Margot dieser Spruch wieder ein. Kapitulation, Frieden überall jetzt in Deutschland, der letzte Schuß gefallen, ein Moment der Hoffnung, schrecklich und wunderbar hatte Susanne Roth ihn genannt. Margot stand am Fenster und dachte, daß sie ihr schreiben wolle, sobald die Post wieder Briefe beförderte, da bog der Wagen um die Ecke, ein klappernder Kastenwagen, der Schimmel davor mager, alt und müde, kaum, daß er die Last ziehen konnte, und Margot hörte Anna Jaroschs Worte, nur nebenher, wie sie meinte. Aber daß sie das Pferd mit dem Spruch in Verbindung brachte, jetzt, in dieser Minute, wies vielleicht schon auf Künftiges hin.
An einem der nächsten Abende, das Pfarrhaus war längst überfüllt, erschien ein Soldat und bat um Quartier.
»Bei uns ist leider gar kein Platz mehr«, sagte Margot und wollte, da sie nicht helfen konnte, die Tür schnell wieder schließen. Aber der Soldat sprang vor und schob seinen Fuß dazwischen.
»Nu hörn Se mal zu, Frollein. Wat heeßten hier Platz. Platz hat keener, kenn ick ja. Aber nu bin ick bald bis nach Moskau jelatscht und wieder zurück, und irgendwo muß ick doch hin mit de Knochen, und nu lassen Se mir mal rin inne jute Stube.«
Liesbeth Domalias Sprache. Für einen Augenblick sah sie ihr verpickeltes Gesicht, die Lagerküche, den Wald zwischen dem Dorf und dem Arsenal, und Wiethe saß auf dem Schreibtisch, die Beine übereinandergeschlagen und in der Hand seinen englischen Kriminalroman. »Und nach dem Krieg, young Lady?«
»Wat issen nu, Frollein?« fragte der Soldat, ohne zu ahnen, daß er ein Signal ausgelöst hatte, »schicken Se mir man bloß nich wieder uffe Straße«, und Margot ließ ihn ins Haus, holte den Teppich aus der Studierstube, bereitete ein Lager oben im Flur und brachte ihm Graupensuppe aus dem Topf, der eigentlich für die Familie bestimmt war.
»Der Familientopf«, rügte Frau Schaper, »Sie können doch nicht noch das Essen aus dem Familientopf verteilen«, und auch der Pastor murrte über den fehlenden Teppich, eine Grenze, Margret, irgendwo müsse doch eine Grenze sein, und ob er demnächst bei Mutter Grün schlafen solle.
»Mir haben Sie damals das ganze Zimmer gegeben«, sagte
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