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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Sergeant, here are two exellent typists for you.«
    »Wir haben doch nie gesagt, daß wir tippen können«, beteuerte Ildiko, als ihr Mißtrauen überwunden war und sie unbefangen mit Margot zu sprechen begann. »Nur, daß wir früher auf dem Gymnasium gewesen sind und bei der Militärregierung arbeiten möchten, um Englisch zu lernen, weil wir nach Amerika wollen, und plötzlich sind wir hervorragende Stenotypistinnen. Komisch.«
    »Aber vielleicht lernen wir es auf diese Weise, und irgend etwas muß man ja können«, fügte Eva hinzu, flüsternd, denn sie hatte im KZ Bergen-Belsen durch einen Schlag auf den Kehlkopf die Stimme verloren. Ildiko und Eva, Jüdinnen aus Budapest, so alt wie Margot, auch so blond, jedoch mit kurzen, erst knapp sechs Zentimeter nachgewachsenen Haaren, ein Zentimeter für jeden Monat der Freiheit. »Eigentlich«, sagten sie, immer im Plural, ihrer Überlebensform offenbar, »verstehen wir gar nicht, daß wir noch da sind.«
    Konzentrationslager, ein Wort für Margot bisher nur aus dem Radio, der Zeitung, abstrakt und unwirklich. Jetzt wurde es zur Chiffre für Gesichter und Schicksale: Ildiko, Eva, Max Weinstein. Und Joseph Lewinsky aus Lodz, ebenfalls neunzehn, doch wie ein alter, erschöpfter Mann wirkend, wenn er am Abend mit rotumränderten Augen dasaß, schwitzend vor Anstrengung, und nur noch kaute, schluckte, atmete. Ildiko und Eva konnten lachen, taten es auch, zu oft manchmal. Joseph lachte nie. »In Ungarn haben sie uns erst 1944 geholt«, sagte Ildiko. »Ein Jahr Lager, das ist schrecklich. Aber bei ihm waren es vier.«
    Max Weinstein dagegen, der die gleiche Zeit in Buchenwald hinter sich hatte, schien wieder voll bei Kräften zu sein und wußte laut und bestimmt seine Meinung durchzusetzen. Er stammte ebenfalls aus Lodz, war aber zehn Jahre älter als Joseph, einer, der alle Überlebenskniffe beherrschte und ihn schon im Getto unter seinen Schutz genommen hatte. Auch jetzt bewachte er ihn, »iß, Joseph, du mußt essen«, schnitt das Fleisch auf seinem Teller klein, schob es ihm notfalls in den Mund und erreichte sogar, daß Frau Kükü, die angesichts von Max Weinsteins Glutaugen ohnehin die Goldplomben blitzen ließ, eine ihren Kochkünsten eigentlich widerstrebende extraleichte Diät zubereitete, wenngleich auch davon die Hälfte liegenblieb. Max Weinstein selbst aß am meisten von allen, unersättlich geradezu, und so schnell, als mißtraue er den vollen Schüsseln immer noch. Und da der Colonel ihn ausersehen hatte, mit Hilfe von Permits zusätzliche Produkte für die Küche der Annenburg heranzuschaffen, sollte er bald zum bedeutendsten Schwarzhändler des Bezirks aufsteigen. Wohingegen Joseph in der Registratur half, still und bemüht, aber unfähig zur Konzentration. Schriftstücke, die er zu den Akten legte, ließen sich nur selten wiederfinden, so daß er auch hier in ständiger Furcht lebte, obwohl Stanley Schofield ihn damit zu trösten versuchte, daß der Papierkrieg sowieso überhandnähme: »Never mind, Joe, there is too much silly paper in the world anyhow.«
    Es waren Ildiko, Eva und die beiden Polen, die Margot zu verstehen gaben, daß sie nicht an diesen Tisch und in dieses Haus gehöre.
    »Schwedin bist du?« fragte Max Weinstein am zweiten Abend, nachdem Colonel Hollet sie alle in seinem Büro versammelt hatte, um aus gebotener Distanz, den Finger wie üblich an der Nase, jeden einzelnen vorzustellen. »Du und Schwedin?«
    Sie hatten zu Abend gegessen, Stille für einen Moment, und Max Weinsteins Frage fuhr so scharf dazwischen, daß Frau Kükü, die gerade die frischgefüllte Teekanne hereinbrachte, vor Schreck gegen den Türpfosten stieß, was eine aufgeregte Suada, türkisch vermutlich, in Gang setzte.
    »Schwedin. Und redet deutsch wie Goebbels persönlich«, sagte Max Weinstein, bei dem es allerdings nicht so flüssig klang, eher wie bei Anna Jarosch, nur mit jiddischer Färbung. Joseph sprach genauso, während Ildikos und Evas Deutsch in ungarischem Tonfall dahinholperte. Den anderen hörte man ebenfalls ihre Herkunft an, Holland, Lettland, Rußland, und Frau Kükü wie auch die jugoslawische Küchenhilfe Olga machten sich ohnehin mehr mit Händen und Füßen als durch Worte verständlich.
    »Ich bin in Deutschland aufgewachsen«, sagte Margot, und Herr Baranow ergänzte eilig, daß ihr Vater Schwede gewesen sei.
    »Und bei den Nazis ging es euch gut, wie?« fragte Max Weinstein mit soviel Haß in der Stimme, daß Margot am liebsten davongelaufen

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