Malenka
wäre. Doch solche Empfindlichkeiten konnte man sich nicht leisten, sie blieb, wo sie war, auf dem Platz Joseph gegenüber, dessen Hand zu zittern begann und die Teetasse nicht mehr halten konnte. Ildiko und Eva senkten die Köpfe, alle schwiegen, sogar Herr Baranow.
»Schwedin!« Max Weinstein schrie nun fast. »Und jeden Tag hundertmal Heil Hitler, wie?«
»Sie müssen Colonel Hollet fragen«, sagte Margot und schämte sich, weil es nach einer Drohung klang. Dabei hatte Max Weinstein recht, nicht mit der Zahl, aber auf Zahlen kam es nicht an. »Wir können morgen zu ihm gehen«, sagte sie trotzdem, denn es sollte geklärt werden, so oder so. Aber er wandte sich ab und war still.
»Jawohl, gehen Sie zum Colonel«, riet Herr Baranow, als Margot später bei ihm im Zimmer saß, einem schmalen Gelaß mit eisernen Haken an der Decke, die frühere Wurstkammer vermutlich. »Der Colonel wird die Angelegenheit regeln, ganz gewiß.«
»Nein«, sagte Margot. »Ich habe es mir überlegt. Lieber bin ich der letzte Hund am Napf.«
Er sah sie verständnislos an, meinte dann aber, vielleicht wäre es besser so, und die Schwierigkeiten würden sich ohnehin von allein geben.
»Wenn man bei jeder Mahlzeit zusammen am Tisch sitzt, kommt der Tag, an dem der Mensch den Menschen sieht«, sagte er mit Zuversicht in der Stimme. Aber seine Augen verrieten, daß er nicht zu denen gehörte, die an so einfache Lösungen glauben.
Margot konnte nicht schlafen in dieser Nacht. Es war warm im Bett, und zum Abendessen hatte es ein türkisches Reisgericht gegeben, fast soviel Fleisch für jeden darin, wie draußen eine Person pro Woche erhielt. Warm und satt, doch alles kein Trost oder nur ein geringer.
Es begann eine Zeit der Isolation, die allein durch die Arbeit erträglich wurde, Übersetzen, Dolmetschen, der Kampf an der Schreibmaschine mit Colonel Hollets seltsamen Briefentwürfen. »We did not fight this war to bring the Germans coughy, we fought to bring them democracy«, war er imstande niederzuschreiben, unverständlich der Zusammenhang, bis »coughy« sich als »coffee« entpuppte, zu seinem Amüsement noch dazu. »Nobody in my family can spell, Maggie, it’s just our special touch.« Wie ein Kreuzworträtsel kam es ihr manchmal vor, und sie freute sich, wenn so ein Brief sauber getippt dalag, links auf dem Bogen der englische, rechts der deutsche Text. Auch die Anerkennung freute sie, das Lob von beiden Seiten, zwischen denen sie zu vermitteln hatte. Ein fragwürdiges Lob freilich, ganz wohl war ihr nicht dabei.
»Wer hätte gedacht, daß Sie eine so gute Dolmetscherin werden«, sagte Colonel Hollet, ohne zu ahnen, wie eigenmächtig sie mit seinen Sätzen, häufig sogar mit seinen Befehlen umging, und der Landrat, der zweimal wöchentlich zum Rapport erschien und offenbar über bessere Englischkenntnisse verfügte, als er zugab, kündigte ihr einen Orden an für die Zeit, »wenn die Tommies uns unseren Kram wieder allein machen lassen«, Töne, die ihr auch nicht behagen wollten.
Wie überhaupt alles, was zwischen Iffenhausen und der Annenburg ablief, seine zwei Seiten hatte, auch die vergnüglichen Fahrten in den Landkreis mehrmals pro Woche: Inspektionsreisen, die der Colonel mit großer Gewissenhaftigkeit durchführte, so, als hinge das weitere Wohl eines Dorfes davon ab, daß er in Galauniform nebst dem goldbestickten, schiffchenförmigen Käppi, einer Besonderheit seines Regiments für feierliche Anlässe, am Bürgermeisterhaus vorfuhr, die dürftige Kanzlei samt den Honoratioren in Augenschein nahm, seine Ansprache zum Thema Demokratie hielt, sich über diesbezügliche Fortschritte im Ort unterrichten ließ, tadelte, ermahnte, lobte, alles unter dem gleichen beifälligen Nicken der Anwesenden, mit dem sie seit jeher Besuche der Obrigkeit begleiteten. Danach wurde die Schule besichtigt, das Spritzenhaus, einer der Höfe, vielleicht noch die Molkerei, auf jeden Fall aber die Kirche, wo Colonel Hollet, ein gläubiger Katholik, wie sich herausgestellt hatte, zum Erstaunen seiner Begleiter vor dem evangelischen Altar niederzuknien und zu beten pflegte. Den Abschluß bildeten meistens Brote mit Mettwurst in der guten Stube des Bürgermeisters, selbstgebacken und hausgeschlachtet, Genüsse, die für Städter längst zur Legende geworden waren, bei Colonel Hollet jedoch die Überzeugung festigten, daß es den Verlierern des Krieges so schlecht nicht gehen könnte. Im übrigen liebte er deutsche Wurst. »We give the Germans
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