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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Anfang, halb in der Lüge, doch alles weitere so, wie es gewesen war bei Neustrelitz. Ulrich Jensch, der sie aus der Starrheit geholt hatte mit Speck, Schnaps, Zuspruch, dem Moment der Liebe. »Er hat mich wieder lebendig gemacht«, sagte sie. »Vielleicht ist es bei Eva und Joseph ebenso.« Es tat gut, über Ulrich Jensch zu sprechen, Beweis fast, daß sie nicht nur mit Traumbildern spielte. Er sei angeblich in russische Gefangenschaft geraten, hatte sein Bruder ihr als Antwort auf einen Brief mitgeteilt, nun wartete sie weiter, ohne genau zu wissen, auf wen eigentlich. Sie sah die Gestalt im Mondlicht, das Gesicht ein verschattetes
    Oval ohne Konturen, Ulrich Jensch, nicht mehr so wichtig in diesem Augenblick, nicht so wichtig jedenfalls für Ildiko, die neben ihr saß und zu der sein Name nur eine Brücke baute.
    Allmähliche Veränderungen, kaum daß darüber gesprochen wurde. Nur Herr Baranow gab seine Kommentare, einmal auch Max Weinstein, der, als er Schuhe für die Zivilangestellten beschaffen sollte und Margot wie alle anderen auf einen Bogen Papier treten ließ, um die Umrisse ihrer Füße nachzuzeichnen, plötzlich mitten im Strich erstaunt aufblickte. »Ein deutscher Fuß...«, dann aber eilig hinzufügte: »Ganz hübsch«, und, nachdem diese Hürde genommen war, Margot sogleich für seine Geschäfte einzuspannen suchte. Höchst fragwürdige Geschäfte inzwischen, längst jenseits der ihm vom Colonel zugewiesenen Aufgaben, insbesondere wenn es sich um interzonale Transaktionen handelte, um jene mit den Aktentaschen beispielsweise.
    »Herr Max Weinstein«, lautete Permit Nummer eins in diesem Fall, »Angestellter der britischen Militärregierung des Landkreises Iffenhausen, hat den Auftrag, einen Posten Blechdosen in die Obstanbaugebiete am Bodensee zu bringen. Es wird gebeten, ihm jegliche Unterstützung von seiten der militärischen und zivilen Behörden zu gewähren.« Darüber stand: »To whom it may concern«, darunter der Name des Colonels, Stempel rechts, Stempel links, und was an dieser Bescheinigung stimmte, waren allenfalls die in der Krummbeckschen Fabrik gegen Zigaretten eingehandelten Konservenbüchsen, sonst aber nichts. Denn statt an den Bodensee brachte Max Weinstein die Ladung nach Pirmasens, um sie dort in Leder umzusetzen, das unter dem Schutz eines zweiten Permits zurück in die britische Zone geschleust werden mußte, wo er das Leder zu Aktentaschen verarbeiten ließ, einige davon für die englischen Soldaten, die ihm die Zigaretten geliefert hatten. Die übrigen kamen erneut in Umlauf, gegen Öl, Kaffee, Düngemittel, Briketts, Medikamente, je nach Marktlage, wie es gerade anfiel und gewinnbringend weitergeschoben werden konnte, wobei die Permits unschätzbare Vorteile gegenüber der Konkurrenz bedeuteten.
    »Leg sie ihm auf den Schreibtisch«, sagte er zu Margot, »er soll unterschreiben«, und sie tat es, weil sie Max Weinstein fürchtete, aber auch in Unkenntnis des Ausmaßes seiner Unternehmungen. Im übrigen ließ er die Tischrunde, eine Art Familie für ihn offenbar, durchaus an dem Segen teilnehmen: Schuhe, ein Kleiderstoff dann und wann, Oberhemden für die Männer, Strümpfe, Wäsche, auch so unerreichbare Alltäglichkeiten wie Nähnadeln oder Gummiband. Und Nahrungsmittel zur Ergänzung der kargen Rationen, denn die der Engländer fielen trotz des gewonnenen Krieges nicht so üppig aus, daß auch noch Frau Küküs Töpfe sattsam damit gefüllt werden konnten. Im Gegenteil, die Soldaten bauten ebenfalls auf Max Weinsteins Organisationstalent. Black Mac nannten ihn deshalb die unteren Dienstgrade, seiner schwarzen Augen wegen, glaubte dagegen der Colonel. Er unterschrieb ihm jedes Papier, voll des Lobes für soviel Eifer, von dem er hin und wieder auch persönlich profitierte, gegen reelle Bezahlung selbstverständlich. Dreißig German Marks für eine Aktentasche etwa, denn daß der Preis solcher Luxusartikel auf dem Schwarzmarkt mittlerweile das Dreißig- oder gar Vierzigfache erreichte, blieb ihm fern. »Er schwebt über den Wassern«, definierte es Herr Baranow, und ein Leben lang sollte Margot sich wundern, wie jemand trotz aller Nähe zur deutschen Realität so wenig davon zu bemerken schien.
    Daß nicht auch Margot, durch einen gedeckten Tisch und Berge von Koks im Keller der Annenburg vor den Nöten des ersten Nachkriegswinters gesichert, die Wirklichkeit aus den Augen verlor, lag hauptsächlich an Walli Wolff einer Danziger Flüchtlingsfrau, die mit ihren kleinen

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