Malenka
sobald es still wird rundherum.
Im übrigen bekam sie trotz aller Anstrengungen, trotz Dr. Möller und Major Brooks, kein Zimmer vom Wohnungsamt, mangels Masse, wie der Angestellte dort erklärte, hohnlachend geradezu. Der Major solle es sich doch aus den Rippen schneiden, bei ihm jedenfalls gäbe es keins vor Ferienbeginn, sie müsse warten bis August. Und wenn Margot dennoch in Göttingen blieb, so geschah es ohne ihr Zutun, mühelos, eine Verknüpfung von Kleinigkeiten. Zufall, wird Harald Hellkamp es nennen, ihr Partner dabei, einer, der lediglich die letzten Schritte sah, ohne zu bedenken, daß jeder Schritt die Folge eines anderen ist und er mit Margot nur deshalb Zusammentreffen konnte, weil sie in Iffenhausen nicht die Sicherheit gewählt hatte, sondern das Risiko.
Harald Hellkamp aus Bielefeld, plötzlich ist er da, noch weiß Margot nicht, was es zu bedeuten hat. Von Bedeutung scheint ihr allein die Kammer, in der sie schlafen kann, ein Bodenverschlag diesmal, nur Gerümpel darin und halbzerfetzte Matratzenteile. Dort lag sie, die Hände unter dem Kopf, und starrte auf das helle Muster, das eine Straßenlaterne zwischen die Dachsparren warf. Es fangt ja erst an, dachte sie und übersprang, halb im Traum schon, die Zeit, war bereits am Ziel, irgendwo im Sichern, ein Haus, ähnlich vielleicht dem am Pyritzer Markt, wo sie zu Hause war, und nicht mehr allein.
Die Bodenkammer hatte Harald Hellkamp ihr verschafft, dem sie sozusagen in die Arme gefallen war auf dem Göttinger Bahnsteig, als sie nach Hannover fahren wollte, nun doch Hannover, wohin sonst. Sie stand mitten im Gedränge, eine Menschenmauer, Studenten hauptsächlich, dazu die Hamsterer mit ihren Kartoffelsäcken und Gemüsekörben. Als der Zug gestürmt wurde, aussichtslos für die meisten, denn selbst auf den Trittbrettern hingen schon die Leute, erhielt Margot einen Stoß, so landete sie an Harald Hellkamps Brust, der im Reflex die Arme um sie schloß. Eingekeilt standen sie da, sie spürte seinen Atem und legte den Kopf zurück, der Schreck in ihren Augen belustigte und rührte ihn. Sie war fast so groß wie er, aber trotzdem kam sie ihm hilflos vor, der erste Irrtum in ihrer Beziehung.
»Lassen Sie mich doch los«, sagte sie ärgerlich.
»Wie denn?« Er lachte. »Keine Eile, Sie kommen sowieso nicht mehr in den Zug.«
Eine gern geschilderte Szene künftighin, diese erste Begegnung, bei jeder Wiederholung mit neuen Arasbesken versehen und immer wieder Anlaß zum Amüsement des Bielefelder Kreises, in dem die Paare gemeinhin auf konventionellere Art zueinanderfanden, Geld zu Geld nach Möglichkeit, Fabrik zu Fabrik.
»Wir haben eine Weberei in Bielefeld«, hatte Harald Hellkamp Margot erzählt, und da sie sich darunter nichts Genaues vorstellen konnte, dachte sie an Szenen von Gerhart Hauptmann, ein Webstuhl in der Küche, ausgemergelte Gestalten davor, lächerlicherweise, das merkte sie bald und fiel schließlich aus allen Wolken beim Anblick des Hellkampschen Hauses am Bielefelderjohannisberg, Dornberger Straße, wo Harald geboren und aufgewachsen war, mit einem silbernen Löffel im Mund. »Der silberne Löffel, etwas anderes interessiert dich nicht«, wird sie eines Tages zu ihm sagen, am Ende dessen, was jetzt anfangt auf dem Göttinger Bahnsteig, einer dieser Anfänge, die man nicht erkennt. Zufall. Alles Notwendige geschieht zufällig, hatte Margot irgendwo gelesen.
Wann der nächste Zug käme, wollte sie wissen.
Die Menge war auseinandergelaufen, nur er stand immer noch neben ihr. »Morgen früh.« Er blickte auf den Koffer. »Ich kann Ihnen behilflich sein. Wo wohnen Sie denn?«
»Im Wartesaal.« Es sollte ironisch klingen, was ihr aber nicht gelang, und Harald Hellkamp, der sich bereits anschickte, die Verantwortung für sie zu übernehmen, sagte tröstend: »Das wird schon werden.«
Margot versuchte, ihm zu glauben. Er sah so verläßlich aus in seiner hellen Windjacke, ungefähr fünf Jahre älter als sie, das Gesicht etwas kantig, ein festes Kinn, doch die Augen mit dem kleinen Silberblick gaben ihm gleichzeitig Weichheit und Sensibilität, jedenfalls schien es ihr so. Er nannte seinen Namen, fügte hinzu, daß er Student sei, Volkswirtschaft, und schleppte den Koffer zielstrebig zum Stegemühlenweg, wo ein Kommilitone wohnte, bei einer Frau Scheinemann, die sich mißmutig herbeiließ, Margot oben in der Bodenkammer schlafen zu lassen, höchstens für zwei Wochen, sagte sie, absolut provisorisch, und die Toilette im ersten
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